Mono – dann erst Stereo

In den Kindertagen der Stereophonie herrschen gegenüber der neuen Übertragungstechnik noch Berührungsängste. In einer Nachlese zur Deutschen Funkausstellung 1959 in Frankfurt beobachtet die Funkschau:

„Was die Stereophonie angeht, mussten die meisten Spezialisten der Industrie in den Vorführräumen feststellen, dass das Publikum von der neuen Technik so gut wie keine Vorstellung hat, ja mancher Musikfreund sie gar für faulen Zauber hält.“

„Es erschien uns besser, anstelle eines sofortigen Umsteigens auf Stereo zuerst eine hochwertige Mono-Anlage anzuschaffen“, schreibt dann auch Heinz W. Kämmer in der Musikzeitschrift fonoforum. Der Beitrag unter der Überschrift „Erfahrungen mit einer Stereo-HiFi-Anlage im Heim“ erscheint im August 1960.

„Nach sorgfältiger Prüfung des Angebots wählten wir als Plattenspieler den Thorens TD 124. Außer der Qualität, die sich in Rumpelfreiheit, hoher Laufkonstanz und langer Lebensdauer ausdrückt, war bei der Auswahl dieses Laufwerks mitentscheidend, dass jeder Tonarm verwendet werden kann.“

„Dadurch“, argumentiert Kämmer, „wird echte Baustein-High-Fidelity ermöglicht. Die Anlage lässt sich bis ins letzte Glied individuell zusammenstellen und, falls ein Baustein sich als technisch überholt erweist, dieser jederzeit austauschen.“

Der Thorens TD 124 der Redaktion ist mit dem „Geradführungsarm“ BJ 90 des englischen Herstellers Burne-Jones ausgestattet. Das Bild zeigt den Tangentialtonarm auf einem Thorens TD 121 meiner Sammlung

Steuerzentrale der Mono-Anlage ist der „Telewatt Ultra“ der Stuttgarter Firma Klein + Hummel. Mit seinen beiden Endstufenröhren vom Typ EL 34 erreicht der Verstärker die damals im Heimbereich fast unvorstellbare Leistung von 40 Watt Dauerton.

Der von 1957 bis 1961 gebaute „Telewatt Ultra“ ist der erste große HiFi-Verstärker aus deutscher Produktion. Typisch für die Zeit: Rumpel- und Höhenfilter sowie die geriffelten Regler aus elfenbeinfarbigem Kunststoff mit goldenen Kappen. Die gleichen Knöpfe verwendete Leak für die Vorstufen Point One und Varislope

„Es wird leicht der Schluss gezogen, dass ein solcher Verstärker für Heimanwendungen zu groß bemessen sei”, schreibt Heinz Kämmer in seinem Bericht. „Das trifft nach unseren Erfahrungen keinesfalls zu.“

„Die höhere Leistung erzeugt eine Klangfülle, die mit einem kleineren Verstärker nicht zu erreichen ist. Der Frequenzbereich wird um eine Oktave nach unten erweitert, wobei die Bässe scheinbar mühelos kommen. Die hohe Leistungsreserve erlaubt auch hohen Signalspitzen, den Verstärker unverzerrt zu passieren.“

Erweiterung auf Stereo

Bewusst entscheidet sich Kämmer zunächst für diese hochwertige Mono-Anlage. „Da die ersten Stereo-Geräte nicht unseren Erwartungen entsprachen, wollten wir nicht den geringsten Kompromiss bei der Wiedergabequalität eingehen.“

„Wir nahmen uns vor, einfach einen zweiten Telewatt Ultra sowie einen zusätzlichen Lautsprecher zu verwenden, wenn Stereo sich als echter musikalischer Gewinn erweisen sollte.“

Stereo-Anlage der Redaktion in den damals beliebten String-Regalen: Auf zwei Einlageböden versetzt die beiden Ultras, darunter der Thorens TD 124 mit Tangentialtonarm. Die Lautsprecherboxen LB 121 stammen ebenfalls von Klein + Hummel

Als der Plan dann umgesetzt ist, lässt sich die erweiterte Anlage einfacher als erwartet bedienen:

„Obwohl die beiden Mono-Verstärker natürlich über keinen Balanceregler verfügen“, führt Kämmer aus, „lässt sich der Klangkörper mit Hilfe der Lautstärkeregler mühelos in die Mitte oder an jeden beliebigen Punkt zwischen den Lautsprechern dirigieren. Auch die durch den Raum und die Aufstellung der Lautsprecher bedingten Unterschiede können leicht ausgeregelt werden, nachdem man sich an die Bedienung gewöhnt hat.“

Mono-Schallplatten klängen über die zweikanalige Anlage ebenfalls erheblich besser: „Der Eindruck, Musik aus dem Fenster zu hören wie bei einkanaliger Wiedergabe, verschwindet. Eine Sammlung guter Monoplatten wird durch eine solche Kombination also eher auf- als abgewertet.“

HiFi-Verstärker aus Kemnat

An der Entwicklung und dem Bau von Röhrenverstärkern in HiFi-Qualität hat damals in Deutschland kaum ein Hersteller Interesse. Eine der Ausnahmen ist die 1945 von Horst Klein und Walter Hummel gegründete Firma Klein + Hummel in Kemnat bei Stuttgart.

Seit 1959 produziert Klein + Hummel seine Geräte im neuen Werk Kemnat – ganz in der Nähe des Stuttgarter Fernsehturms

Klein + Hummel ist stolz, Mitglied beim Deutschen High Fidelity Institut zu sein

Das umfangreiche Know-how von Klein + Hummel kommt auch den unter der Marke „Telewatt“ hergestellten HiFi-Verstärkern und Lautsprechern zugute.

Der Ursprung der Firma liegt in der Entwicklung und Produktion von Messgeräten und Prüfeinrichtungen für Radio- und Fernsehen unter den Namen „Radiotest“ und „Teletest“

Walter Hummel gilt mit seinen bahnbrechenden Entwicklungen als der deutsche HiFi-Pionier und erster Hersteller von Lautsprechern mit integriertem Verstärker für Rundfunkanstalten sowie Tonstudios weltweit.

Gewusst wie beim Verstärkerbau: Telewatt-Ultra-Konstrukteur Walter Hummel

„Die Wiedergabe muss so gut sein, dass sie besonders in der Klangfarbe der Originaldarbietung entspricht. Deshalb reden wir von Wiedergabetreue.“

Walter Hummel

Mit dem Thorens TD 124 führt Hummel bereits 1959 auf seinem Stand bei der Deutschen Funkausstellung in Frankfurt am Main Stereo-Langspielplatten vor – obwohl Importgeräte dort eigentlichen nicht gezeigt werden dürfen.

Bei „Schwaben-Radio“ – einem Laden von Klein + Hummel in der Stuttgarter Innenstadt – werden echte HiFi-Geräte angeboten – auch der TD 124

Klang mit Ultralinearschaltung

Als „interessanten HiFi-Vollverstärker“ bezeichnet die Funkschau den Telewatt Ultra bei seinem Erscheinen 1957 in einem Messerückblick. „Das Gerät lehnt sich äußerlich an die amerikanische Geschmacksrichtung an.“ Damit meint die Zeitschrift sein schlichtes Metallgehäuse, das so gar nicht zum damaligen Nussbaum deutscher Wohnzimmer passt.

„Der Gesamtklirrgrad beträgt nach Herstellerangabe 0,35 Prozent bei 40 Watt, die Intermodulation liegt bei 1,2 Prozent und der Frequenzgang erstreckt sich von 20 Hertz bis 120 Kilohertz. Für gehörrichtige Entzerrung wird ein ungewohnt hoher Aufwand getrieben. Der Kennlinien-Entzerrer im Phono-Eingang verfügt über 25 verschiedene Schaltmöglichkeiten; ferner sind Rumpel- und Höhenfilter vorgesehen. Die Wiedergabe mit diesem Verstärker ist ganz erstklassig!“

Funkschau, Heft 11/1957

Der hervorragende Klang des Telewatt Ultra beruht auf seiner Ultralinear-Schaltung. Mit diesem Schaltungskonzept lassen sich nichtlineare Verzerrungen vermindern, die bei Tetroden oder Pentoden in Audio-Leistungsstufen entstehen. Die ersten deutschen Geräte dieser Bauart waren 1954 das Radiogerät Freiburg von Saba und die Musiktruhe Belcanto von Graetz mit je zwei Leistungsröhren EL 84.

1961 wird der Verstärker von der Funkschau ausführlich erprobt:

„Unsere Untersuchungen des Telewatt Ultra bestätigten die wesentlichen vom Hersteller genannten Übertragungsdaten und Qualitätsaussagen“, berichtet Testredakteur Otto Diciol. „Aufgrund der Messwerte kann gesagt werden, dass der Verstärker dem vom Autor gemachten Pflichtenheft-Vorschlag für High-Fidelity-Verstärker entspricht.“

Zum Verständnis: Die HiFi-Norm DIN 45500, die auf Druck der großen Industriefirmen für Unterhaltungselektronik nur geringe Ansprüche stellte, wurde 1965 eingeführt. Gefordert war bei Verstärkern für das Prädikat „HiFi“ eine Dauertonleistung von lediglich 2 x 6 Watt.

Variable Phono-Entzerrung

Eine Besonderheit des Telewatt-Ultra-Verstärkers ist außer seiner hohen Ausgangsleistung die Möglichkeit, auch Schallplatten, die nicht der RIAA-Norm entsprechen, korrekt zu entzerren.

Heute ist die naturgetreue Wiedergabe einer Schallplatte über den Eingang für magnetische Tonabnehmer eines Verstärkers kein Thema mehr. Jeder Entzerrer-Vorverstärker ist auf die RIAA-Kennlinie programmiert, nach der alle modernen Schallplatten geschnitten sind.

Interessant ist, dass die Hersteller sich endlich auf eine einheitliche Schneidkennlinie geeinigt haben, und dass damit das Durcheinander wie im monauralen Katalog vorbei sein dürfte, in dem jedes Fabrikat eine andere Kennlinie aufwies und die Entzerrer beziehungsweise Höhen- und Tiefenregler heiß liefen.“

Manfred Kahlweit in der Zeitschrift fono forum, 1960

Das war in den Kindertagen der High Fidelity noch ganz anders:

Erst 1955 konnte sich die Schallplatten-Industrie auf den RIAA-Standard einigen. Davor benutzten die Labels für Langspiel- und Schelllackplatten eine Vielzahl verschiedener Kennlinien. Selbst nach der offiziellen Normierung hielten sich noch nicht alle Tontechniker an die RIAA-Norm. Die Tabelle zeigt die korrekte Phono-Entzerrung für einige gängige Schallplattenlabels

Der Vorverstärker des Telewatt Ultra enthält einen gegengekoppelten Phono-Entzerrer, der eine ungewöhnlich genaue Anpassung der Entzerrerkurve an die verschiedensten Schallplatten-Schneidkennlinien ermöglicht.

Zweimal fünf Schiebeschalter bieten am Telewatt Ultra die Möglichkeit, Schallplatten mit abweichender Schneidkennlinie korrekt zu entzerren

Da die Tiefen- und Höhenkompensation mittels Schiebeschaltern unabhängig voneinander gewählt werden kann, sind nicht nur 5 Norm-Schneidkennlinien, sondern 25 weitere Entzerrerkurven reproduzierbar.

Blick von der Innenseite des Verstärkers auf die rückwärtigen Anschlüsse und Bauteile des Phono-Entzerrers

Vorbild des Telewatt Ultra sind hochwertige Verstärker aus den Vereinigten Staaten und aus Großbritannien, die über ähnliche Einrichtungen verfügen – zum Beispiel die Vorverstärker und Vollverstärker von Fisher und H.H. Scott, der Vorverstärker 22 von Quad sowie die Modelle Point One und Varislope von Leak.

Den Vorverstärker McIntosh C 8, den er auf einer USA-Reise sah, muss Walter Hummel vor Augen gehabt haben, als er den Telewatt Ultra konstruierte – zu ähnlich fallen die zehn Schiebeschalter aus

Im April 1959 erscheint im Würzburger Vogel-Verlag die Übersetzung eines „Testroom Report“ der englischsprachigen Fachzeitschrift Consumer Goods:

„Obwohl die Stereotechnik in den vergangenen Monaten enorme Fortschritte gemacht hat, gibt es nach wie vor gute Gründe, der Mono-Wiedergabe nicht gleich abzuschwören“, schreibt das Magazin. „Zum einen liegen die Kosten für eine HiFi-Anlage in Mono deutlich niedriger. Zum anderen gibt es nicht wenige Beispiele, wo Stereo keine Vorteile bringt, etwa bei der Übertragung von instrumentalen oder vokalen Solo-Darbietungen.“

Im weiteren Verlauf des Testberichts bescheinigt die Comsumer Goods dem Telewatt Ultra eine Perfektion, „die alle – wir wiederholen alle – Ansprüche erfüllt, die man an ein solches Gerät stellen kann“. Zwar gebe es Konsumenten, die den technischen Aufwand für übertrieben halten. „Doch der anspruchsvolle Musikliebhaber, der sich sein Hörvermögen erhalten hat, wird von dem Verstärker begeistert sein.“

„Unser Test, in dem wir den Verstärker unter allen denkbaren Bedingungen erprobten, erstreckte sich über mehrere Monate“, schließt die Zeitschrift ihren Bericht. „Der Telewatt Ultra erfüllte die Erwartungen in jeder Hinsicht.“

Dem Vorgehen gefolgt

Dr. Karl Gerhard Baur ist Abonnent des fonoforum, das sich thematisch mit seiner geliebten klassischen Musik befasst. Den Beitrag von Heinz W. Kämmer über Erfahrungen mit einer Stereo-Anlage im Heim studiert der junge Chemiker ganz genau. Auch er sieht für seine geplante HiFi-Anlage zunächst die vom Magazin beschriebene Mono-Variante vor.

Schon im Vorfeld der Anschaffung beginnt der Musikfreund mit Klein + Hummel einen Briefwechsel – der bis heute in einem penibel gepflegten Ordner erhalten ist. Im Juli 1962 fragt er zunächst nach einem Prospekt des HiFi-Verstärkers Telewatt Ultra und einer Bezugsquelle in seiner Nähe.

Zwei Monate später wird der Plan schon konkreter: Baur bittet die Fachleute in Kemnat für den ins Auge gefassten Telewatt Ultra um die Empfehlung eines geeigneten Lautsprechers aus dem hauseigenen Boxenprogramm.

Im Antwortschreiben gratuliert der Hersteller höflich für den Entschluss zum Kauf des Verstärkers und gibt dann ausführliche Ratschläge für den Erwerb einer passenden Box.

Den Telewatt Ultra bezieht Baur von der Elektro-, Fernseh- und Radiogroßhandlung J. W. Zander an seinem Studienort Freiburg.

Im Dezember 1962 erwirbt der Assistent am Chemischen Institut der Universität einen HiFi-Verstärker Telewatt Ultra und den Lautsprecher-Bausatz TL-2 von Klein + Hummel, aus dem er die Box selbst montiert. Nach Abzug von Skonto verbleiben als Kaufsumme 620 DM

Akribisch notiert Baur die Finanzierungsquellen: 250 DM als Weihnachtsgeschenk von den Eltern, 100 DM von seiner Frau Gudrun und 30 DM von einem „Herbert“. 15 DM steuert noch seine Tante Erna bei. Den Rest der Kaufsumme bringt er selbst auf.

Schon einen Monat später richtet der stolze Besitzer des Telewatt Ultra ein weiteres Schreiben an Klein + Hummel. Die Zeilen verraten, dass sich der HiFi-Liebhaber mit seiner Neuanschaffung inzwischen intensiv beschäftigt hat.

Mit dem Verstärker sei er im Grundsatz sehr zufrieden, gibt Baur zu verstehen. Er beanstandet aber einen kratzenden Lautstärkeregler, Restrauschen im Lautsprecher bei zugedrehter Lautstärke und das Fehlen von Informationen über die Scheidkennlinien diverser Schallplattenfirmen in den Unterlagen des Verstärkers.

Ganz im Stil der Zeit bedankt sich Klein + Hummel zunächst artig für das Kundenlob: „Obwohl wir dies nicht anders erwartet hatten, sind wir doch über Ihre Nachricht erfreut.“ Der Hersteller empfiehlt, das Rauschproblem mit dem Wechsel einer Röhre zu lösen und bietet an, einen neuen Lautstärke-Regler im Austausch zu liefern. Unterlagen über Schallplatten-Kennlinien seien nicht verfügbar. Jedoch gebe man den Rat, ältere Platten „nach Gehör“ zu entzerren.

Baur hatte noch gefragt, ob er an dem Phono-Eingang des Verstärkers einen einkanaligen Tonabnehmer verwenden sollte. Davon rät Klein + Hummel ab:

„Wählen Sie ein hochwertiges Stereosystem mit einem Diamanten von 17 µ Verrundungsradius. Es steht Ihnen dann jederzeit frei, auch Stereoplatten anzuschaffen und Ihre Anlage später mit einem zweiten Ultra auf Stereo zu erweitern.“

Schriftwechsel mit Sainte-Croix

Auch an Thorens in der Schweiz wendet sich Karl Gerhard Baur mit einem Brief. Er fragt, ob sich mit dem ins Auge gefassten Plattenspieler Thorens TD 124 auch zweikanalig aufgenommene Schallplatten abspielen lassen. – „Unser Tonarm BTD-12 S eignet sich ausgezeichnet für Stereowiedergabe, wofür er eigentlich ausgedacht wurde“, antwortet auf Deutsch die Thorens S.A.

Im Oktober 1963 kauft Karl Gerhard Baur einen Thorens TD 124 mit Werkstonarm BTD-12 S und Tonabnehmer Shure M 33-7 beim gleichen Lieferanten in Freiburg.

Trotz Preisbindung gewährt der Großhändler einen satten Rabatt: Der Verkäufer reduziert den großzügig kalkulierten Bruttopreis von 836 DM auf günstige 593 DM

Nachdem sich die Mono-Anlage bewährt, erwirbt der Musikliebhaber einen zweiten Telewatt Ultra als top-erhaltenes Gebrauchtgerät sowie einen weiteren Boxenbausatz. Damit ist die Anlage für Stereo-Wiedergabe in seinem neuen Heim in Ludwigshafen komplett.

Ganzer Stolz von Karl Gerhard Baur sind seine beiden Telewatt Ultra, die er feinfühlig zu bedienen weiß. Auf dem Highboard der Thorens TD 124 – der 1968 mit einem SME-Tonarm 3009/II und dem Shure V-15 aufgewertet wurde

An dem zweiten Telewatt Ultra fällt dem achtsamen HiFi-Freund auf, dass das Grau des Gehäuses durch Lichteinwirkung bereits heller erscheint. Das Manko lässt ihm keine Ruhe – er will nun den Verstärker nachträglich im gleichen Grau seines Erstgeräts lackieren.

Natürlich gibt es auch hier wieder Schriftverkehr – diesmal über die nachträgliche Lieferung von grauem „Tupfeffektlack“. Die Bestellung bei den Stuttgarter Lesonal-Werken und die darauf folgende Korrespondenz finden sich in dem sorgfältig geführten Ordner. Selbst die Quittung über das Rollgeld am Bahnhof Stuttgart-Feuerbach ist darin abgeheftet.

Die Karten mit der längst abgelaufenen Garantie der Röhren hat Karl Gerhard Baur ebenfalls aufgehoben

Im Januar 1964 zieht der HiFi-Freund eine Bilanz seiner bisherigen Anschaffungen:

Als Kaufsumme der gesamten Stereoanlage hält er 1896,95 DM fest – inklusive 14,50 DM für einen Plattenbesen Dust Bug vom Klavierhaus Döll in Hannover sowie den Kosten für den Tupfeffektlack, für den die Lesonal-Werke einschließlich Versand 14,45 DM berechnen.

Anfang der 1970er Jahre gesellt sich zu den beiden Telewatt Ultra im Hause Baur ein Klein + Hummel ES 707. Im Bild Gudrun Baur an dem Stereoverstärker in Transistortechnik mit zweimal 90 Watt sinus und zeitgenössischen Flachbahnreglern

Bemerkenswert: Auch wenn der neue Transistorbolide von Klein + Hummel mit hervorragenden Übertragungsdaten glänzt, bleiben die beiden Telewatt Ultra in Ludwigshafen weiter in Betrieb.

Allerdings sind zu der Zeit keine Ersatzteile mehr verfügbar – wovon ein letztes Schreiben des Herstellers in dem Dokumentenordner vom September 1973 zeugt: „Das von Ihnen bestellte Potentiometer kann leider nicht mehr geliefert werden, da die Fertigung des Telewatt Ultra bereits seit zwölf Jahren ausgelaufen ist.“

Die beiden Telewatt Ultra werden im Hause Baur weiter benutzt: Das Bild mit Tochter Nannette stammt von 1978, als schon längst ein riemengetriebener Thorens TD 125 den reibradgetriebenen Vorgänger abgelöst hatte

Ein großzügiges Geschenk

Wann genau Karl Gerhard Baur die beiden Telewatt Ultra endgültig außer Betrieb genommen und dann auf dem Dachboden seines Hauses in Friesenheim eingelagert hat, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Fest steht aber das Jahr, in dem Baur die Röhrenverstärker wieder vom Speicher holte und sie mir zu treuen Händen vermachte – inklusive des dazu gehörenden Dokumentenordners.

Die Rechnung über die nach so langer Zeit immer erforderliche Revision der beiden Ultras durch Peter Feldmann in Bad Homburg datiert nämlich vom Oktober 2006. Das war kurz nach der Veröffentlichung der ersten Auflage von SCHWEIZER PÄZISION, die Baur als Thorens-Liebhaber bei mir sofort bestellte und über die wir miteinander in Kontakt kamen.

Arbeitsbeschreibung von Peter Feldmann: Die Aufstellung bezeugt, dass die beiden Ultras fachgerecht restauriert wurden. Kostenpunkt: faire 1500 Euro für beide Verstärker – eine Ausgabe, die sich Bastler gern sparen

Nicht ganz einfach sind Unterbringung und Anschluss der beiden Mono-Verstärker in meinem Hörraum.

Die beiden Telewatt Ultra auf meinem Rack – fit für die nächsten 50 Jahre. Die Verstärker haben die gleichen elfenbeinfarbigen Drehknöpfe wie die Leak-Vorstufe (links unten)

Da die Regalböden der massiven Racks von Finite Elemente eine relativ große Fläche bieten, gelingt die Aufstellung der Telewatt Ultra hintereinander und gegenseitig etwas versetzt. So ist auch das Bedienen des hinteren Verstärkers problemlos möglich.

Nach Öffnen der Gehäuse-Oberseite werden der dicke Netztrafo und der sorgfältig dimensionierte Ausgangsübertrager sichtbar; in der Mitte die slowakischen EL 34 von JJ Electronic

Rückwärtiges Anschlussfeld des Telewatt Ultra

Auf der Rückseite des Verstärkers befinden sich in der unteren Reihe links die Schraubklemmen für die Erdung und einen Lautsprecher mit 4, 8 oder 16 Ohm.

Die mit „SYM“ bezeichneten Klemmen samt Stellschraube dienen zum Einstellen des Ruhestroms, die mit „Parallel-Betrieb“ bezeichnete Buchse zum Anschluss eines weiteren Telewatt Ultra.

Bei Verwenden von zwei Verstärkern verdoppelt sich die Ausgangsleistung auf 80 Watt sinus, wobei zwei Kanäle getrennt geregelt und gesteuert werden können. Klein + Hummel empfiehlt diese Betriebsart für High-Fidelity-Übertragungen auf freien Plätzen oder in großen Hallen.

In der rechten Hälfte der Anschlussreihe befinden sich die Buchsen für die Eingänge. Bis bis auf die Plattenspieler-Anschlüsse in Cinch-Bauweise sind sie als zeitgenössische Diodenbuchsen ausgeführt. Die Anschlüsse für Radio und Tonband besitzen Pegelregler zum Angleichen der Lautstärke.

Schließlich befinden sich auf der Rückseite noch zwei als „Telewatt GM-Kopplung“ bezeichnete Stellschrauben. Mit den „GK“ (Gegenkopplung) und „MK“ (Mitkopplung) beschrifteten Reglern lässt sich der günstigste Wert für die Lautsprecher-Dämpfung einstellen. Wobei der Hersteller für die jeweils beste Einstellung der GM-Kopplung in der Bedienungsanleitung eine Tabelle mitliefert.

Anschlüsse für Kristall und Magnet

Der Telewatt Ultra bietet Phono-Eingänge mit zwei wählbaren Empfindlichkeiten für den Anschluss eines Kristall- oder Magnet-Tonabnehmers – als Mono-Gerät natürlich für nur einen Kanal.

Bei Verwenden eines Stereo-Magnetsystems besteht die Gefahr von Brummeinstreuungen. Man müsste nämlich in dem Fall das zweiadrige Phonokabel aufspleißen, um die Kabel einzeln den Phonoeingängen der beiden Verstärker zuzuführen.

Um das Problem zu vermeiden, verwende ich einen elektrodynamischen Tonabnehmer mit geerdetem Übertrager, von dem aus separate Cinch-Kabel den Verstärkereingängen brummfrei zugeführt werden.

Als Plattenspieler benutze ich einen Thorens TD 121 mit dem Studiotonarm Ortofon RMG 309, das elektrodynamische SPU und den Ortofon-Übertrager T 100

Zwei Diodenbuchsen mit Cinch-Adaptern stehen an den Verstärkern als Hochpegel-Eingänge zur Verfügung:

Eine Phono-Vorstufe, mit der sich an den beiden Ultras ein zweiter Plattenspieler betreiben lässt, kann man an den beiden „Radio“-Eingängen anschließen. Ein CD-Spieler wird mit den „TV“-Eingängen der Ultras verbunden. Schlechter nutzbar sind nach meiner Erfahrung die zwei weiteren Eingänge für Tonband und Mikrofon.

Ausgangsfeld des Telewatt Ultra von links: Sicherung, Netzverbindung, Erdungsanschluss für zwei Plattenspieler und den zweiten Verstärker (drei Kabel), Ausgänge für eine Box mit 4, 8 oder 16 Ohm

Die flexiblen Anschlusskabel für die Lautsprecherbox mit Kabelschuhen und Kupplungen für Bananenstecker hat Peter Feldmann angfertigt. Highend-Freunde verwenden für den Anschluss der Lautsprecher an den Schrauben gern vergoldete Spades. Davon kann ich nur abraten!

Denn die starren Spades üben in Verbindung mit den heute üblichen dicken Kabeln auf die fragilen Schrauben bei Zug oder Druck erhebliche Kräfte aus – mit der Gefahr des Ausbrechens. Dann ist nicht nur guter Rat, sondern auch die Reparatur teuer …

Ungewöhnlich ist das Ein- und Ausschalten des Verstärkers über den Höhenregler – der nach dem Einschalten für neutralen Klang in die 12-Uhr-Position gedreht werden muss

Beim Höhenregler eines Verstärkers war zeitweise die Ein- und Ausschaltfunktion defekt.

Die Reparatur hat für mich Roland Herzberg ausgeführt. Der Frankfurter Ingenieur baute den defekten Regler aus, zerlegte und reinigte den darin befindlichen Netzschalter, bog den Schalter nach und baute ihn wieder ein. „Der Ersatz durch ein neues Schalterpoti ist hier nicht so einfach“, meint Herzberg. „Bei dem Schalter handelt es sich um ein Teil aus Fernsehgeräten der 1950er Jahre, das eine erhöhte Strombelastbarkeit aufweist.“

„Wichtig ist im Inneren des Telewatt Ultra die Wahl der richtigen Netzspannung“, erklärte mir noch der Röhrenfachmann:

In Stellung 245 Volt ist die Röhrenheizspannung so gering, dass die Gleichrichterröhre GZ 34 nicht genug Anodenstrom für die zwei EL 34 liefert. Bei Dynamikspitzen oder Bassimpulsen bringt der Verstärker kaum mehr als zwölf Watt. Nach dem Impuls zeigt er ein hörbares „Loch“, bis die Elkos im Netzteil wieder nachgeladen sind.

Herzberg empfiehlt deshalb, den Spannungswähler in der früher benutzten Stellung 220 Volt zu belassen. „Dabei werden die Röhren nicht überlastet – auch wenn heute gut 230 Volt Netzspannung anliegen. Der Ultra ist in dieser Hinsicht konservativ ausgelegt und fährt die Endröhren mit wenig Ruhestrom. Damit wird die Nennleistung von 40 Watt Realität. Die EL 34 verkraften Einiges an Dauerbelastung und werden immer noch nicht übermäßig heiß.“

Korrektur nach Fletcher Munson

Um auch bei kleineren Pegeln eine hervorragende Wiedergabequalität zu erzielen, hat der Telewatt Ultra einen gehörrichtig kompensierten Lautstärkeregler. Er verändert den Frequenzgang so, dass dieser der von den Physikern Fletcher und Munson aufgestellten Gehörkurve entspricht.

Unabhängig davon verfügt der Verstärker über einen normalen, frequenzlinearen Lautstärkeregler.

Frequenzlinearer und gehörrichtiger Lautstärkeregler am Telewatt Ultra

Die maximale frequenzlineare Lautstärke erzielt man mit dem Vor-Regler, nachdem der gehörrichtige Regler zuvor in die Stellung „Laut“ gebracht wurde. Die gehörrichtige Einstellung der Lautstärke erfolgt durch den Regler mit den Stellungen „Leise“, „Mittel“ und „Laut“.

Von Zeit zu Zeit nehme ich die Telewatt Ultra bei mir in Betrieb – und bin von dem hervorragenden Klang der beiden Schätzchen immer wieder begeistert. Besonders fällt die völlige Abwesenheit von Brummen auf – mechanisch wie elektrisch. Was man von manch anderem alten Röhrenverstärker nicht behaupten kann.

Für die Ausstellung „Braun HiFi – Ursprung einer Designkultur“ hatte ich die beiden Telewatt Ultra dem Firmenmuseum von Braun als Beispiele aus der Frühzeit der High Fidelity zur Verfügung gestellt. Die Präsentation 2008 im Kronberger Westerbach-Center musste wegen des großen Publikumsinteresses mehrmals verlängert werden

Übrigens: Man könnte den Telewatt Ultra auch „Eisenschwein“ nennen – so schwer liegt der Röhrenverstärker beim Transport in den Armen. Wobei diese Bezeichnung sogar zum Steckenpferd seines früheren Besitzers passt: Als zeitlebens großem Fan der Bahntechnik war Karl Gerhard Baur „Eisenschwein“ als Beiname der schweren sechsachsigen Vorkriegslok E 94 mit Sicherheit ein Begriff.

Dr. Karl Gerhard Baur war nicht nur leidenschaftlicher Musik- und HiFi-Liebhaber. Der Chemiker, der bei der BASF über 30 Jahre in der Forschung arbeitete, schrieb im Ruhestand auch anspruchsvolle Fachbücher über Eisenbahntechnik. Seine Publikationen genießen unter Lokfans wie in der Fachwelt einen ausgezeichneten Ruf und gelten als Standardwerke der Eisenbahnliteratur. Mein Gönner starb am 1. Juli 2020 – Bild: Dierk Lawrenz