Traumfund in der Stadthalle

Meinen Bücherstand auf der Phono- und Radiobörse in Sankt Georgen ergänze ich stets um einen Hingucker, der sich vom Einerlei des Messe-Angebots abhebt.

Da kam mir dieses Jahr ein besonderer Zwölfzoller, den ich auf meinem frühen Thorens TD 124 von Riverside mit auf den Roßberg brachte, gerade recht.

Über den Grace G-360, der in japanischen Rundfunkstudios seinen Dienst tat, und über die Restauration des Exoten durch meinen Sparringspartner Peter Feldmann werde ich gesondert berichten

Hand auf’s Schau-Objekt: In diesem Jahr verstärkte Gerhard Felbinger neben meiner Frau Angelika unsere Standbesatzung. Dem Jazz-Liebhaber aus Mühlheim am Main gelang auf der Börse ein tolles Schnäppchen

Mit dem Thorens TD 124 auf unserem Angebotstisch hatten die Börsenbesucher die Gelegenheit, mal wieder einen Plattenspieler aus der höheren HiFi-Liga zu bestaunen:

Zweiteiliger Plattenteller mit Kupplung, ein austauschbares Tonarmbrett mit Platz für Einzeltonarme von neun oder sogar zwölf Zoll wirksamer Länge, Leuchtstroboskop, Kreislibelle mit Nivellierschrauben, dazu das bauchige Chassis und die schwere Verarbeitung, die an einen 57er Chevrolet erinnert – das alles macht den Thorens TD 124 unverwechselbar.

Besondere Aufmerksamkeit fand unser unverkäufliches Schaustück mit dem japanischen Grace bei den Börsenbesuchern allerdings nicht. Wie immer standen Automatikspieler, Nussbaumradios, deutsches HiFi der Einstiegs- bis Mittelklasse, billige Kompaktanlagen sowie eine Unmenge an Drei-Euro-LPs im Zentrum des Interesses.

Doch bei meiner routinemäßigen Suche nach hifi-technisch interessanten Angeboten wurde ich dieses Jahr in der Stadthalle deutlich fündiger – zum Beispiel mit einem gepflegten Thorens TD 160, der sinnigerweise die gleiche Zahl an Euro kosten sollte.

Es wurde aber noch interessanter. Schon zu Beginn meines Rundgangs durch die Reihen der Verkaufstische stieß ich auf dieses seltene Objekt:

Welcher Dualese braucht denn sowas? Der amerikanische Tangentialtonarm Rabco SL-8 für 800 Euro blieb in Sankt Georgen unverkäuflich

Am gleichen Stand gesichtet: Ein guter Decca-Tonarm in der seltenen „Professional“-Ausführung samt zwei überholungsbedürtigen Decca ffss. Alles zusammen: 500 Euro

Für sportliche 250 Euro offerierte Standinhaber Bernd Friedmann ein herrliches Bastelobjekt: Sockel und Lager stammen von einem Ortofon AS 212 – der nicht selten für solche Sachen herhalten muss. Das Armrohr – vorn sillbernes Titan, hinten schwarzes Karbon – hat Friedmann selbst gefertigt. Der Armkopf ? „Aus dem 3D-Drucker“. Da kommt Freude auf …

Keine Lust mehr: In Einzelteilen bot Bernd Friedmann diesen SME 3009/II mit Metall-Messerlagern an. Er versichert: „alles komplett“

Auch die Verkaufstische eines Eidgenossen fanden mein Interesse. „Gold Coast“ – zu Deutsch „Goldküste“ – stand auf seinem schwarzen T-Shirt geschrieben. Dem entsprechend ging’s an der Küste um viel Geld.

Temperament, das man von einem Schweizer gar nicht erwartet: Mit ausholenden Gesten und unwiderstehlichem Charme pries Patrick Meier seine Waren an. Ein Foto? „Sehr gern!“

Der Händler aus in Niederönz bei Herzogenbuchsee, der im Gewerbezentrum Gärbi Meier’s Grammo Shop betreibt und auch eine Webseite unterhält, hat sich auf Schelllackplatten und Grammophone der Vorkriegszeit spezialisiert. In Sankt Georgen spielten bei ihm aber auch die 1960er Jahre eine Rolle.

Thorens TD 124/II von Meier: optisch perfekt, das Armbrett des Werkstonarms TP 14 ohne die sonst üblichen Risse. 2500 Euro standen auf dem Preisschild – wobei fraglich ist, ob der Spieler von Fachleuten wie Schopper oder Zeier revidiert wurde. Da käme noch ein Tausender drauf …

Mit seiner Preisvorstellung konnte Meier beim üblichen Publikum der Veranstaltung nicht punkten – und das gute Stück nach Börsenschluss wieder einpacken.

Vor Jahren bereicherte schon einmal ein Thorens TD 124 mit dem klassischen SME 3009/II unimproved das Angebot. Der sollte nur etwas mehr als die Hälfte kosten, blieb aber ebenfalls „liegen“.

Beachtung fand der Schweizer zwar – aber nur bis zum Blick auf das Preisschild. Interessenten wandten sich dann schnell ab. Selbst diese günstige Offerte war für die Börse „zwei Nummern zu hoch“.

Wer macht denn sowas? Thorens TD 224 mit Typenschild eines 124 – wodurch bei dem Wechsler zwischen Schild und Chassis eine Lücke bleibt. Völlig dubios auch die Seriennummer: Eine „14“ hat es bei Thorens nie gegeben. Mit 4000 Euro überteuert – so wird Meier das Monstrum mit dem falschen Schild nie los …

Zur Ehrenrettung muss man aber sagen, dass es sich um ein Musterexemplar handeln könnte, das ein Mitarbeiter nach Beendigung von Versuchen in der Fabrik – ob erlaubt oder unerlaubt – mit nach Hause nahm. Solche Fälle hat es durchaus gegeben.

Natürlich nur ein Gedankenspiel – das dem Verkäufer nicht geläufig sein dürfte. In dem Fall wäre der „falsche“ Wechsler wirklich eine Rarität. Für die sich vielleicht ein Liebhaber finden lässt, der den hohen Preis für das Unikat bezahlt.

Nach dem Schock dann helle Aufregung: Direkt neben dem unmöglichen Wechsler erblickte ich einen wunderschönen Lenco L 70 – der als erster HiFi-Plattenspieler aus Burgdorf 1960 auf den Markt kam.

MAKELLOS: Plattenspieler und Zarge präsentierten sich wie gestern erst gekauft. Das gilt sogar für die dazu gehörige Abdeckhaube – die noch nicht mal die üblichen Wischspuren aufweist

Nach dem Grund des Traumzustands befragt berichtete Meier, dass der Lenco einer alten Dame gehörte, die dem Plattenspieler, so sagt man in der Schweiz, „Sorge getragen“ hat. Dazu passt, dass die einzige Besitzerin auch sämtliche Dokumente des L 70 noch vorweisen konnte.

Blick auf die Unterlagen des Plattenspielers mit Gebrauchsanweisung, Ersatzsicherung und Garantiekarte. Die ist besonders interessant: Um neben dem Vertriebsabkommen mit Ex Libris den Fachhandel zu beliefern, kooperierte Lenco mit der Apco AG in Dübendorf bei Zürich

Zu den Unterlagen zählt weiter der Einzahlungsschein der Schweizerischen Bankgesellschaft zugunsten „Grammo-Studio Walter Lederer“ in Bern. Der Verkaufsstempel der Garantiekarte datiert vom 28. April 1967. Was belegt, dass dieser L 70 eines der letzten gebauten Exemplare ist. Noch im gleichen Jahr ging der Nachfolger L 75 an den Start.

Dann zog Patrick Meier einen weiteren Lenco-Knüller aus seinem Zauberhut:

Unter dem Verkaufstisch fischte der Händler als Zugabe den Originalkarton des L 70 hervor – ebenfalls praktisch fabrikneu! Bemerkenswert wenn man bedenkt, wie abgefeiert die selten auftauchenden Kartons des Thorens TD 124 sind, die für teures Geld noch an den Mann gebracht werden.

Schließlich der Preis: 350 Euro wollte Meier haben – für alles! Vor einigen Jahren hätte ich da sofort zugeschlagen. Doch da mein Leben endlich ist und ich seit einiger Zeit eher am Abbau als am weiteren Zubau meiner Gerätesammlung arbeite, siegte die Vernunft und ich musste leider passen.

Durch die Lappen gehen lassen wollte ich dieses Schnäppchen aber auf keinen Fall: Umgehend eilte ich zu unserem Bücherstand und berichete Gerhard von dem sensationellen Fund. Der ließ sich nicht lange bitten – und war am Stand von Meier gleich Feuer und Flamme für den Lenco!

Der günstige Preis für den Lenco L 70 – den er sogar noch um 50 Euro herunterhandeln konnte – ließ Gerhard Felbinger gleich zur Geldbörse greifen

Gebongt! Bei diesem Deal gab’s nur strahlende Gesichter – auch beim Mann von der Goldküste

Zu Hause in Mühlheim packte mein Börsenbegleiter den Neuerwerb natürlich gleich aus. Auch er befand den Lenco als praktisch neuwertig. Lediglich eine Ersatznadel für den eingebauten Pickering-Tonabnehmer musste der Analogfreund nachbestellen.

„Ich habe weder Laufgeräusche noch Rumpeln vernommen“, zeigt sich Felbinger erleichtert. „Der Lenco läuft absolut leise.“ Gleichwohl habe er vor, das gute Stück Peter Feldmann zur Durchsicht vorbeizubringen: „Man kann vermuten, dass 58 Jahre lang kein Service an ihm gemacht wurde.“