Jugendträume werden wahr …

Begonnen hatte der Retro-Trend schon gegen Ende der 1980er Jahre mit der Wiederaufnahme der Produktion des elektrodynamischen Tonabnehmers Ortofon SPU in seinem zeitlos eleganten Kopf.

Geschlossene Tonköpfe waren viele Jahre als Neuware nicht für Geld und gute Worte zu haben. Für Vintage-Liebhaber bedeutete die unverhoffte Wiederauflage des Ortofon SPU eine kleine Sensation

1996 erschien die klassische Röhrenverstärkerreihe von Marantz – die Vorstufe Model 7, die Stereo-Endstufe Model 8 b und der Monoblock Model 9 als Neuauflage. Der kalifornische Röhrenspezialist VAC hat die Nachbauten für Marantz als Auftragsfertigung produziert.

Alle drei Modelle verzichten auf jedweden Replika-Hinweis. Bis auf das Einhalten neuzeitlicher sicherheitstechnischer Vorschriften entsprechen sie in fast allen Belangen den Originalen – auch dort, wo man auf den ersten Blick nicht hinschaut.

So sind im Inneren der Vorstufe die Kabelbäume nicht mit den heute üblichen Kunststoffclips befestigt, sondern wie beim Original noch mit Bindfaden – eine Technik, die 1959 Standard war. Toll die Übernahme der damals üblichen Wahlmöglichkeiten unter verschiedenen Phono-Entzerrungen auf der Frontplatte beim Model 7 – die Stellungen „Old 78“, „RIAA“ und „Old Columbia LP“.

Neuauflage der Marantz-Vorstufe Model 7 – die äußerlich völlig dem Original von 1959 entspricht

Die Front der Vorstufe Model 7 begeistert immer noch durch ihre schlichte, zeitlose schöne Gestaltung. Kaum zu glauben, dass dieser Entwurf schon vor mehr als 60 Jahren – in der Hochphase schwülstiger Heckflossen-Straßenkreuzer – entstanden ist. Hier zeigt sich, dass ihr Schöpfer Saul Marantz ursprünglich Fotograf und Designer war.

Obwohl diese Repliken nur in überschaubaren Mengen produziert wurden – man spricht von 300 Kombinationen Model 7/8 b und nur 100 Exemplaren des Monoblocks Model 9 für den europäischen Markt – gab es für die Nachbauten von Marantz eine eigene Dokumentation, sogar in deutscher Sprache. Für die Commemorative Edition sparte sich McIntosh eine Verkaufsbroschüre.

Zu den Nachbauten der Vorstufe 7 sowie den Endstufen 8 b und 9 veröffentlichte Marantz diesen attraktiven Prospekt

Kits von Dynaco

Meist als Bausatzgerät wurden die Tuner und Verstärker der 1955 von David Hafler und Ed Laurent gegründeten Firma Dynaco in Philadelphia gekauft.

Millionen von Amerikanern mit schmalem Geldbeutel verhalfen „Dynakits“ zu high-fidelem Klanggenuss.

Erfolgsgeheimnis von Dynaco waren die vorgefertigten, einfach zu montierenden Leiterplatten. Bei den Bausätzen der Konkurrenz musste der Käufer die Teile selbst zusammensetzen und testen.

Bekanntestes Produkt von Dynaco ist die seit 1959 erhältliche, mehr als 350000mal gebaute Endstufe Stereo 70 mit Leistungsröhren EL-34, angesteuert von der Röhrenvorstufe PAS-3

Auch die Stereo 70 wurde wieder aufgelegt – als „klassisch-moderner“ Endverstärker mit verfeinerter Class-AB-Ultralinear-Pentodenschaltung. Technisch und auch optisch vom Original ein Stück weit entfernt – allein schon durch die Farbgebung im unvermeidlichen Schwarz der heutigen High-End-Komponenten.

Sorgfältig restauriertes Pärchen Monoblöcke Quad II der Firma Quad Musikwiedergabe mit den klassischen Endstufenröhren KT-66 – hier in der slowakischen Neuauflage von JJ Electronics

Seit den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts gelten QUAD II Röhrenverstärker immer dann als Referenz, wenn es um naturgetreue Musikwiedergabe geht. Noch aus der Monozeit stammend, verwendet man für Wiedergabe von Stereo zwei dieser Monoverstärker. Die zugrundeliegende Ultralinearschaltung verbindet natürlichen Klang mit zuverlässigem Betrieb über Jahrzehnte. Heute bietet die Firma QUAD Musikwiedergabe in Gering westlich von Koblenz restaurierte oder vollkommen neu aufgebaute QUAD II Verstärker an:

https://www.quad-musik.de/index.php/de/produkte/elektronik/quad-ii

Traumpaar von Radford

Radford Electronics aus dem westenglischen Bristol ist relativ spät zum Kreis der britischen HiFi-Hersteller hinzugestoßen, hat sich aber einen legendären Ruf erarbeitet. Gegründet wurde die Firma 1946 von Arthur Hedley Radford. Produktionsschwerpunkt waren zunächst Audiotransformatoren. Erst 1961 begab sich Radford auf den prosperierenden HiFi-Markt, machte mit der Vorstufe DSM und Endstufen der STA-Serie Furore. Kraftverstärker, deren einzigartige Qualität eben diesen Transformatoren zu verdanken war.

Radford STA 25 mit Trafokäfig in lichtem Grau. Unverwechselbar die seitlichen „Geländergriffe“ zum leichteren Transport und zum Röhrenschutz

Heute bauen Steve Moores, der schon 1974 erste Kontakte zu Radford nach Bristol knüpfte, und sein Sohn William auf Bestellung perfekte Repliken der Kraftverstärker STA 15 und STA 25 – nach Originalplänen unter Verwendung moderner Bauteile. „Unser Bestreben ist es, mit diesen komplett in Großbritannien handgefertigten Verstärkern Radford von seiner besten Seite zu erleben und ein Produkt zu besitzen, auf das man viele Jahre stolz ist“, so William Moore.

Nähere Informationen zu den neuen Modellen STA 15 und STA 25 auf der Webseite von Radford Revival:

https://www.radfordrevival.co.uk/sta-reissue/

Leider baut die kleine Firma nur die Endstufen STA 15 und STA 25 nach – die passende Vorstufe SC 22 dagegen nicht. Mir war es gelungen, eine komplett revidierte SC 22 für meinen STA 25-Nachbau zu erwerben.

Sachlich präsentiert sich die Front der Radford SC 22. Typisch englisch an diesem Modell das flexible Höhenfilter mit drei wählbaren Einsatzfrequenzen

Wie die Vorstufe Point One von Leak bezieht auch die SC 22 ihre Stromversorgung über ein Kabel mit Oktalsteckern von der Endstufe. Doch die Radford-Nachbauten haben dafür keinen Anschluss. Meine SC 22 besitzt einen eigenen Netztrafo und ist deshalb auf die Stromversorgung von der Endstufe nicht angewiesen.

Sauber ist der Neuaufbau meiner SC 22 mit hochwertigen Bauteilen. Die vier Röhren ECC 83 sind Genalex Gold Lion beziehunsgweise Electro Harmonix. Vorn rechts der nachträglich eingebaute Netztrafo

Der geschickte Umbau stammt von Dr. David K. Stephenson, der in Großbritannien als führender Radford-Spezialist gilt.

Neuestes Beispiel für Retro ist der Relaunch der englischen Traditionsmarke Leak. Die silberne Frontplatte des Vollverstärkers Stereo 130 soll an diejenige der berühmten Leak-Verstärkerreihe aus den 1960er Jahren erinnern.

Typische Leak-Front mit schwarzem Band aus genarbtem Kunstleder. Wegen der Ähnlichkeit mit der Kamera aus Wetzlar spricht man von Leica-Design

Damit enden allerdings schon die Gemeinsamkeiten. Im Inneren des Leak Stereo 130 arbeitet ein „starker ESS Sabre-Chip für die Digital-Wandlung“, so eine Beschreibung. Da ist die historisierende Front doch eher Tünche …

Als „Verstärker für den modernen Audio-Enthusiasten“ beschreibt Leak Deutschland sein Verstärkermodell 130

Klassische Proportionen

Retro-HiFi, neue Auflagen alter Designs und Techniken gibt es auch bei Lautsprechern – und dies nicht nur aus optischen Gründen. Denn klassische Proportionen mit breiter Schallwand und reichlich Volumen bieten akustische Vorteile. Einen angenehmen und doch verbindlich-kraftvollen Ton bekommt man hier viel leichter hin als über die üblichen blutarmen Sound-Spargel mit 13 cm-Tieftönern.

Das liegt an den größeren Basstreibern, denen es mit ihrer üppigen Membranfläche einfach leichter fällt, größere Luftmengen zu bewegen. Außerdem: Großvolumige Boxen haben einen hervorragenden Wirkungsgrad – was für den Betreiber historischer Röhrenverstärker wichtig ist. Hersteller, die diese Tradition hochhalten, sind Klipsch, JBL, Wharfedale mit seiner erschwinglichen Linton und – weniger erschwinglich: Tannoy!

Tannoy Canterbury – ein gewaltiger Lautsprecher mit 38er Dual-Concentric-Bass, der aussieht wie die Kommode der Großtante – 63 Kilogramm schwer. Auch die kleineren Modelle der Prestige Serie im viktorianischen Stil haben Bespannungen Marke „Omas Gardinenstoff“

Tannoys der Prestige-Serie sind nicht einfach nur Lautsprecher, sondern Begleiter im Wohnraum. Höchst edel kombinieren die Schotten wundervolles Furnier mit Intarsien. Am besten sehen die edlen Schallwandler neben einem knisternden Kamin aus – so inszeniert sie auch der hauseigene Fotograf.

Wer in einem Schloss mit entsprechend weitläufigen Sälen wohnt, wird weder akustisch noch stilistisch um ein Paar Tannoy Canterbury herumkommen, deren Hochtöner als Druckkammer-Horn aus Messing im Zentrum eines riesigen 15-Zoll-Tieftöners sitzt und die dem Ideal einer punktförmigen Schallquelle huldigt.

Tannoy Canterbury im Ambiente eines englischen Landschlosses

Eine grandiose Lautsprecher-Persönlichkeit, deren barockes Äußeres nur so lange befremdlich wirkt, bis man sie mit eigenen Ohren gehört hat“ – so Bernhard Rietschel, ehemaliger Chefredakteur der HiFi-Zeitschrift AUDIO.