Der Untergang des Abendlandes

An dieser Stelle möchte ich Ihnen etwas über den Charakter meiner Plattensammlung verraten, die neben 360 Schellacks, vielen Singles und einigen EPs rund 6000 LPs umfasst.

Blick in mein Paradies: Früher mussten Geräte und Schallplatten im Wohnzimmer Platz haben. Dann zog das „Paradies“ in die Einliegerwohnung meines 1985 gekauften Hauses. Gewohnt hat dort unten bisher niemand

Etwa 2000 Monos sind unter den Longplays, was viel über den Schwerpunkt meines „schwarzen Goldes“ sagt: Das sind die 1950er und frühen bis mittleren 1960er Jahre – die Zeit meiner Jugend. Rhythm & Blues, Rockabilly, Rock ’n‘ Roll, Twist, instrumentaler Surf und verhallte Gitarren, auch noch Merseybeat haben mich nie losgelassen.

Zur Klassik, die heute auch das Interesse mancher junger Hörer findet, habe ich keinen Zugang gefunden. Da bin ich vorgeschädigt durch die Verachtung, die Kulturbeflissene „meiner Musik“ entgegenbrachten – und darob den Untergang des Abendlandes kommen sahen. „Amerikanischer Dreck“ – das war so ein Kommentar, den Jugendliche, die nicht gerade im Knabenchor sangen, damals zu hören bekamen. Viele Eltern trieb die Musik ihrer Kinder die Wände hoch.

Meine gerade benutzten HiFi-Geräte stehen auf drei „Heavy Duty“-Racks von Finite Elemente – Tragkraft der Bodenplatten 90 Kilogramm, die der Regale 50 Kilo. Einer meiner wenigen Zugeständnisse an die Highend-Gemeinde

Jeder, der zu meiner Jugendzeit aufgewachsen ist, hat die Aversion von Klassikhörern gegen jedwede andere Musikrichtung miterlitten. Der Anteil „schwerer Musik“ am Schallplattenabsatz betrug in den 1950er und frühen 1960er Jahren noch etwa ein Drittel. Sonntage, die mit Sinfonien begangen wurden, waren so selbstverständlich wie der Perserteppich im Wohnzimmer. Heute beträgt der Marktanteil von Klassik nur noch sechs Prozent – mit einem großen Anteil älterer Liebhaber.

Das Highboard ist die Maßanfertigung eines Schreiners. Hinter Glas meine Marantz-Vorstufe Model 7 mit Endstufe 8 b. Die Fenstervergitterung bietet Schutz vor ungebetenen Gästen

Um welchen Konflikt es damals ging, schildert Rüdiger Bloemeke in seinem Buch „Wie der Rock ’n‘ Roll nach Deutschland kam“:

„Der neue Sound war für mich die Botschaft aus einer anderen Welt. Er brach mit allem, was um mich herum geschah. Zu Hause konnte ich damit nicht kommen. Für meinen Vater war das ‚Hottentotten-Musik‘. Er war Lehrer im Dorf und Organist in der Kirche, hörte gern Klassisches und Schnulzen wie ‚So ein Tag, so wunderschön wie heute‘. Meine Schwester musste immer Schmiere stehen, wenn ich meine Platten hörte. Eines Tages hat er mein Single-Album gefunden. Er klappte es auf und sah lauter Rock ’n‘ Roll-Platten: Fats Domino, Bill Haley, Buddy Holly, Gene Vincent. Und dann ging es los: Ich bekam kein Taschengeld mehr. ‚Das finanzier‘ ich nicht, das Geld kannst Du Dir selbst verdienen!‘ Als der Vater einmal nach Hause kam, während ich gerade meine Musik hörte, hat er vor lauter Wut den Arm des Plattenspielers abgerissen.“

Von den Kanzeln wurde gegen den Rock ’n‘ Roll gewettert, und der Cellist Pablo Casals bezeichnete ihn als „Gebräu aus allen Widerwärtigkeiten unserer Zeit“. Doch die eigenständige Musik für junge Leute setzte sich durch und führte spätestens mit Beginn der Beatwelle um 1963 zum größten kulturellen Umbruch des letzen Jahrhunderts. Heute ist dem ehemaligen Kulturkampf – Roll over Beethoven – friedliche Koexistenz gewichen.

Interpreten wie Chuck Berry und Elvis Presley, die Beatles oder Rolling Stones sowie viele später erschienene Pop- und Rockgrößen haben es längst auf die Feuilletonseiten der großen Tageszeitungen gebracht. Ein fünfspaltiger Bericht über das Abschiedskonzert des Hip-Hop-Trios „Fettes Brot“ wäre auf den Kulturseiten der Tagespresse früher undenkbar gewesen.

Ebenso undenkbar, dass Elvis Presley in Bad Nauheim an der Usabrücke ein Denkmal gesetzt wurde und der Hüftwackler aus Memphis heute als großer Sohn der Kurstadt gefeiert wird. „Elvis ist fester Bestandteil unserer Identität. Wir sind stolz auf unsere Verbindung zum King, freuen uns, Fans aus der ganzen Welt zu begrüßen“ sagte Bürgermeister Klaus Kreß in Vorbereitung des „European Elvis Festival“.

Thematischer Schwerpunkt des Festivals – und der zahlreichen Elvis-Imitatoren – ist zu meinem Leidwesen aber kaum der jugendliche Rebell in den 1950ern. Sondern der King der 1970er Jahre, als er im weißen, diamantbestickten Anzug mit breiter Gürtelschnalle ältere Damen entzückte und im Hintergrund die „Sweet Inspirations“ säuselten. Presley wurde dann immer fülliger – bei einem Auftritt platzte ihm sogar die Hose. Zuletzt pflegte er schon am Frühstückstisch sechs mit Pflaumenmus gefüllte Pfannkuchen zu vertilgen. Mit dem plötzlichen Tod des 42jährigen endete 1977 diese späte Phase.

Treffen mit Gleichgesinnten

Wichtig ist mir der Gedankenaustausch mit anderen Analog- und Vinylfreunden. Im Sommer 2004 fand bei mir ein Meeting der Rhein-Main-Gruppe der Analogue Audio Association statt. Nachfolgend eine Bildserie von diesem anregenden Austausch über meine HiFi-Klassiker und die Plattensammlung.

Bei guten Gesprächen und viel Musik vergingen die Stunden im Taunus wie im Flug. Das waren noch Zeiten – vor Corona

Hier begutachtet Rodney Fiedler meinen Garrard 401. Für das Treffen hatte sich Rodney anlassbezogen einen Button „Back to Mono“ an die Jacke gesteckt. Sein kleines Highend-Studio in Frankfurt musste er in der Branchenkrise aufgeben

Blick auf meinen Thorens TD 124/II mit Ortofon-Tonarm RMA 309 i. Damals habe ich meine Scheiben noch nass gefahren. Frank Zappa lag den Gästen zuliebe auf dem Plattenteller

Gerhard Sakun interessierte sich für meinen Garrard 401 in Loricraft-Zarge. Hier überprüft der Analogfreund die Auflagekraft des SME 3012-R mit einer Balkenwaage

Kontrolle des Überhangs mit einer Schön-Schablone. Mir ist das Ding zu wissenschaftlich – ich benutze die einfache Einstelllehre von SME

Auch das Gegengewicht hat Gerhard neu justiert. Die Einstellungen an der R-Version des SME gelingen viel leichter und präziser als bei den Vorgängern der Serie II

78 RPM

Schellackplatten mit 78 Umdrehungen pro Minute sind für mich ein spannendes Sammelgebiet – allein schon wegen der besonderen Technik, die das Abspielen dieser zerbrechlichen Scheiben erfordert.

Griff in die 78er-Abteilung meiner Plattensammlung. Auf manche Schellack-Schätze bin ich stolz. Zum Beispiel die erste Rock ’n‘ Roll-Platte überhaupt – „Rocket 88“ von Jackie Brenston auf Chess, erschienen 1951

Finden Sie mal einen Plattenspieler, der noch diese schnellste Drehzahl bietet. Heute gibt es zwar wieder einige Modelle. Aber Mitte der 1970er Jahre sah’s da ganz düster aus. Dass man auf einem HiFi-Plattenspieler auch Schellacks abspielt, konnte sich nach der ersten Mondlandung kaum noch ein Mensch vorstellen.

1974 waren Elac Miracord 770 H, Lenco L 78 und Garrard 401 die letzten Modelle mit 78 U/min, die man noch fabrikneu kaufen konnte. Was manchen Liebhaber des Formats überlegen ließ, sich noch ein Exemplar „auf Vorrat“ anzuschaffen. Dann die Überraschung: Mit dem Thorens TD 126, der nach dem berühmten TD 124/II wieder über die Drehzahl 78 verfügte, setzte in der Oberklasse eine Rückbesinnung auf die Schellackplatten ein.

Die meisten Schellacks wurden in braunen Papierhüllen verkauft. Diese 78er ist in Großbritannien mit Bildlochcover erschienen. Es zeigt den Capitol Tower in Hollywood – ein 1956 erbautes 13-stöckiges Hochhaus, Sitz von Capitol Records. Der Rundbau soll einem Stapel Singles mit Tonabnehmernadel an der Spitze nachempfunden sein

In den USA und in England endete die Herstellung der Schellackplatten 1958/59. Bei vielen gesuchten Interpreten jener Zeit zählen ihre letzten 78er zu den teuersten, da das Format nur noch in kleinen Auflagen gepresst wurde. In Südamerika, Afrika und Teilen Asiens dagegen sind Schellacks wegen der immer noch großen Verbreitung von Grammophonen bis in die Mitte der 1960er Jahre produziert worden. Meine jüngste 78er – ein Instrumentaltitel von den Ventures – wurde 1965 in Indien veröffentlicht.

Die teuerste Schellack? Das soll „Yellow Submarine“ von den Beatles auf 78 U/min sein. Diese von Hardcore-Sammlern gesuchte 78er ist 1967 (!) auf den Philippinen erschienen.

„Schade um Bert – nur eine der Gefahren, wenn man 78er Schellacks sammelt.“ Diesen drolligen Witz fand ich in einer englischen Musikzeitschrift

Zum Abspielen meiner Schellacks stehen mir die Shure-Tonabnehmer M 44-3 und M 95-3 zur Verfügung. Eine Klasse für sich ist das Ortofon SPU Mono mit konischer Nadel-Verrundung von 65 µ. Wer einmal eine gute 78er – es gab gegen Ende der Produktionszeit auch welche aus Vinyl – mit dem SPU gehört hat, kommt klanglich aus dem Staunen nicht heraus. Waaas – das soll eine Schelllackplatte sein? Unglaublich!

Ergänzt wurde das Treffen im Taunus durch Fachgespräche im sommerlichen Garten. Auch Redaktionshündin Berta interessiert sich für Vinyl

Fällt es Ihnen auf? Audiotechnik ist ein nahezu lupenreines Männerhobby. Die wenigen Teilnehmerinnen an einschlägigen Internetforen und Highend-Workshops sprechen Bände …

Blick in meine Plattensammlung

Nach der Bildstrecke über das Treffen mit Analogfreunden und zu einigen meiner HiFi-Klassiker nun Impressionen meiner Schallplattensammlung. Wobei ich anfügen muss, dass Vinylsammler meines Genres meist kein Interesse an HiFi-Technik haben. Ich kenne nur einen einzigen Seelenverwandten in Österreich, der seine Platten ebenfalls auf einem Thorens TD 124 abspielt.

Günter Tollhammer aus Wien weiß die Vorzüge einer Tellerkupplung für das komfortable Abspielen von Singles und EPs zu schätzen. Seinen Thorens TD 124/II mit SME-Tonarm 3009/II hat der Rock ’n‘ Roll-Liebhaber in eine maßgefertigte Truhe mit Staubdeckel eingebaut. Links neben dem Spieler zwei in das Pult eingelassene Fächer für die am meisten gehörten Kleinplatten

Mit der Kombination von Vintage HiFi und Rock ’n‘ Roll bin ich Einzelgänger, hänge da zwischen Baum und Borke. Denn auf der anderen Seite wird sich kein Highender für meine Schallplatten interessieren.

Manche meiner Sammlerfreunde besitzen wertvolle Stücke, gönnen diesen aber noch nicht mal eine PVC-Außenhülle, die das Cover aufwertet und gegenseitiges Scheuern der Hüllen vermeidet. Sie haben im Regal keine Aufteilung in Fächer, die den Scheiben Halt geben. Beim Blättern schwanken die LPs hin und her. Außerdem spielen sie ihr Vinyl auf einfachen Kompaktanlagen – kämen nie auf die Idee, dafür mehr als vielleicht drei oder vierhundert Euro auszugeben. Und wenn nichts mehr läuft? Ab in die Tonne!

Was mich auch umtreibt: Den meisten Liebhabern meiner Stilrichtungen kommt es nur auf die Musik, nicht auf das Medium an. Sie haben kein Verhältnis zu den schwarzen Scheiben und zum Umgang mit einem Plattenspieler, sind in den 1990er Jahren bedenkenlos auf die CD umgestiegen.

Dabei ist die Schallplatte das Medium, auf dem sich der Rock ’n‘ Roll abgespielt hat und den man damit schlechthin verbindet. Rock ’n‘ Roll im Rundfunk spielte kaum eine Rolle. Die Ätherwellen in Deutschland beherrschten Kultursendungen, Operetten, „leichte Muse“, deutsche Schlager und Volksmusik, Schulfunk sowie Übertragungen von Gottesdiensten.

Meine Schallplatten habe ich nach Formaten gegliedert: 78er, 45er Singles und EPs, Ten Inch, LPs. Interpreten sind mit Reitern abgetrennt: Amerikanische, danach englische Künstler. Gesonderte Sachgebiete umfassen instrumentalen Rock und Surf, Merseybeat sowie Easy Listening. Rund 1000 Sampler ergänzen die Sammlung

Alle Schallplatten, alle Formate sind in einer Datenbank mit etwa 10000 Interpreten und mehr als 100000 Titeln erfasst. Die habe ich in zweijähriger Tag- und Nachtarbeit – unter Gefährdung meiner Ehe – in die Computertasten gehämmert. Die Arbeit hat sich gelohnt. Ich bin dadurch in der Lage, jede Scheibe meiner Sammlung in kurzer Zeit zu lokalisieren. Aber: Wem ist es bei einer solchen Menge an Schallplatten trotz Übersicht nicht schon mal passiert, eine LP zu kaufen und beim Einreihen ins Regal festzustellen, dass sich ein Exemplar davon schon dort befindet?

Natürlich gehört zu einer großen Rock ’n‘ Roll-Sammlung auch das entsprechende Ambiente. Blickfang in meinem Abhörraum ist eine Wurlitzer 1800, die wie kein anderer Gegenstand das Lebensgefühl der 1950er Jahre verkörpert.

Diese Jukebox mit funkensprühenden Lichtsäulen, wunderschön illuminiert, besitze ich seit 1982. Der Niederländer Jan van Neerven hat das Schmuckstück in mehreren Schritten restauriert. Das Chassis wurde komplett zerlegt, neu verchromt und mit nachproduzierten Teilen wieder aufgebaut

Die Box mit Röhrenverstärker ist auf Freispiel eingestellt. Besucher in meinem Studio dürfen kostenlos Musiktitel wählen. Davon wurde früher natürlich nur geträumt. Wir Jugendlichen mit schmalem Taschengeld konnten lediglich zusehen, wenn andere Gaststättenbesucher Geld einwarfen. Der Umbau hat aber auch einen praktischen Grund, weil er die Box betriebssicherer macht. Im Münzkanal stecken gebliebenes Geld und der Münzprüfer sind häufige Fehlerquellen.

Meine W 1800 wurde 1955 von der Firma Gustav Husemann in Köln aus Teilen, die der Hersteller aus den USA zulieferte, zusammengebaut. Eine Maßnahme des Importeurs, um sich die damals noch niedrigen Arbeitskosten in Deutschland zunutze zu machen. Trotzdem kostete diese Box etwa 6000 Mark – einen Tausender mehr als der VW-Käfer in der Exportausführung.

Die Automatenaufsteller waren kleine Existenzen, die den Kaufpreis nur per Teilzahlung aufbringen konnten – und hofften, dass sich die Boxen aus den Einnahmen in den Gaststätten amortisieren. Die Wurlitzer in meinem Studio stammt aus einer Aufstellung im Nachbarland Belgien.

Bei der Wurlitzer 1800 sind 52 Single-Schallplatten in einem Karussel angeordnet. Die Scheiben werden von links (A-Seiten) und rechts (B-Seiten) durch Schieber auf die zentrale Abspieleinheit befördert und vom Tonarm dahinter senkrecht abgespielt

Leider begannen die Hersteller in den USA ab etwa 1960, den interessanten Wechselmechanismus mit Abspieleinheit immer tiefer ins Gehäuse zu verbannen, bis er schließlich nicht mehr sichtbar war. Manch einer kennt vielleicht geschlossene Modelle aus den späten 1960er bis 1980er Jahren, die eventuell noch in der einen oder anderen Gaststätte stehen. Seelenlose Kästen, in denen es nach dem Einwurf eines Geldstücks und Titelwahl rappelt, bei denen man aber den faszinierenden Vorgang des Plattenwechselns nicht beobachten kann. Solche Exemplare haben nur einen Bruchteil des Wertes einer Box mit offenem Plattenspiel.

Meine erste Musikbox war eine Seeburg 161 mit 160 Titeln und zwei „Rückleuchten“ im Lausprechergitter. Hier die breitere Schwester Seeburg 201, gleichfalls Baujahr 1958, mit drei Leuchten und 200 Wahlmöglichkeiten. So ein 200 Kilogramm wiegender Traum stand in meinem Stammcafé. Um die große Zahl der Titelstreifen unterzubringen, sind deren Halter schräg angeordnet

Seeburg war in den USA als Musikboxenhersteller einer der „Großen Vier“, zu denen noch Wurlitzer, Rock-O-La und AMI gehörten. Mit einem revolutionären Plattenwechselsystem, das statt bisher 24 nun 100 Titelwahlen ermöglichte, wurde Seeburg Anfang der 1950er Jahre Marktführer und lief Wurlitzer mit der neuen Technik den Rang ab.

Beim Wechselsystem von Seeburg stehen die Platten in einem Regal, vor dem die Abspieleinheit auf Schienen hin- und herfährt. Gewählte Scheiben werden auf die Maschine befördert und auch hier senkrecht abgespielt. Vom dem eleganten Mechanismus gab es sogar eine Version für LPs – was dieses Foto beweist

Mit dem Design der Boxen nahmen die Hersteller stilistische Anleihen an amerikanische Straßenkreuzer. Viel Chrom war in den 1950er Jahren angesagt. Deshalb spricht man bei Exemplaren jener Dekade von Musikautomaten des „Silver Age“. Im Gegensatz zum „Golden Age“, unter dem man Boxen der Schellack-Ära aus Vorkriegs- und früher Nachkriegszeit subsumiert.

Das Sammeln von Musikboxen ist ein eigenständiges Hobby, für das ich als Fachautor im verflossenen Berliner Untergrundmagazin „Jukejoint“ zahlreiche Beiträge geschrieben habe. Meine Seeburg kaufte ich von einem Automatenaufsteller 1977. Damals dachte noch niemand daran, sich sowas ins Wohnzimmer zu stellen. Meine Frau war gar nicht begeistert. Die Box machte auch bald technischen Ärger. Ich konnte sie aber noch gut an ein Filmstudio veräußern.

Dann traf ich Jan van Neerven in Eindhoven auf einer Schallplattenmesse, der die Wurlitzer 1800 dort ausstellte und zum Verkauf anbot. In den Niederlanden findet man die besten Fachleute und Restauratoren auf dem Gebiet.

Heute werden Musikboxen des Silver Age mit offenem Plattenspiel in perfektem, fachgerecht restauriertem Zustand teilweise bis zu fünfstelligen Preisen gehandelt – auch von solchen Interessenten, die mit Rock ’n‘ Roll nichts am Hut haben und für die Wohnhalle ihrer Villa einfach nur ein tolles Dekostück suchen, das nicht jeder hat – und das man auch spielen kann.

Die Wanddekoration meines Plattenstudios ist mir ebenfalls wichtig – vermittelt sie doch die für’s Musikhören passende Atmosphäre. Dabei habe ich mich von den Abhörräumen anderer Plattensammler inspirieren lassen.

Motiv von einem alten Decca-Sampler, 1957. Als der Rock ’n‘ Roll erst mal passé war, diente das Cover an der Wand eines Partykellers als Dart-Zielscheibe. Gut zu erkennen die Einstiche in der Oberweite der Dame

Heute hängt das schwungvolle Cover bei mir über der Eingangstür. Das Motiv finde ich toll. Und die Musik? Dünn wird’s da auf dem Plattenteller. Deshalb nur die Verwendung als Deko …

45 RPM

Was viele Vinylfreunde nicht wissen: Populäre Musik spielte sich vor 1965 größtenteils auf 45er Singles und Extended Plays ab. Die große Zeit der heute gebräuchlichen Langspielplatten waren die späten 1960er bis beginnenden 1980er Jahre.

Diese Single mit Firmenlochcover erschien 1958. Das dreizackige Mittelstück ließ sich entfernen – ein Zugeständnis an die Automatenaufsteller. Viele Besitzer großer Singles-Bestände hören ihre Scheiben gar nicht. Sie betreiben ihr Hobby mehr wie das Sammeln von Briefmarken

Ein eigenes Thema sind Kleinplatten mit 2 Titeln auf jeder Seite, die so genannten Extended Plays oder kurz: EPs. Sie wurden meist in nur geringer Auflage gepresst. Manche Labels haben die 12 Titel einer Langspielplatte in Form dreier EPs ausgekoppelt. Ein vornehmlich in den USA und in England geübter Brauch – Zugeständnis an damals schmale Geldbeutel.

Extended Play von Duane Eddy: Den typischen „Twang“ erzeugte der Rock-Gitarrist aus Phoenix, Arizona, indem er die Leitmelodie auf den Bass-Saiten seiner E-Gitarre spielte und mit einer Kombination aus Tremolo, Echo und Hall arbeitete. Das verlieh seinem Sound den tiefen erdigen Klang

Für bestimmte EPs mit Bildcover zahlen Sammler heute stolze Preise – oft mehr als für die korrespondierende LP. Doch auch hier gilt: EPs werden nach Aufnahme in die Sammlung wegen ihrer kurzen Spieldauer nur selten gespielt.

Diese EP erschien 1962 nach dem Start des Nachrichtensatelliten „Telstar“ von Cape Canaveral. Das Ereignis hatte damals die ganze Nation aufgewühlt. Es inspirierte die britische Band The Tornados zu ihrem gleichnamigen Welthit – ein von Joe Meek produzierter Instrumentalrock und Ohrwurm

Ein beliebter Plattenspieler zum Abspielen von Singles und EPs war dieser Phonokoffer „Party 300“ von Dual. Die Hersteller produzierten damals unzählige solcher Modelle

33 RPM

Kommen wir nun zum Schwerpunkt meiner Sammlung, den Langspielplatten aus der Zeit etwa von 1950 bis 1965. Das ständige Wechseln von Singles und EPs war mir immer lästig. Deshalb habe ich, als ich 1969 mit dem Plattensammeln begann, von Anfang an auf Longplays gesetzt. Nachfolgend einige schöne Motive. Schallplattenfreunde, die mit LPs der späten 1960er und der 1970er Jahre aufgewachsen sind, werden so alte Designs noch nicht gesehen haben.

Über viele Jahre waren Einzelhandel und Versender die einzigen Bezugsmöglichkeiten für Schallplatten. Meine originalen US-LPs kaufte ich größtenteils von zwei Händlern an der Pazifikküste, die regelmäßig Verkaufslisten in Kleinschrift verschickten. Bis die bei mir in Deutschland ankamen, bis ich die Angebote per Lupe durchforstet hatte und bis meine Bestellungen schließlich in Kalifornien beziehungsweise Oregon ankamen, verging eine halbe Ewigkeit. Manch begehrte Stücke waren da längst weg.

Heute dagegen im Internet das reinste Schlaraffenland: Auf der Plattform Discogs lässt sich online an Schallplatten wirklich alles und jedes finden, nach Preis und Zustand bequem sortieren und in Echtzeit bestellen. Zu spät – meine Regale sind voll.

Diese Langspielplatte von Buddy Holly erschien Anfang der 1960 Jahre in Deutschland. Sie war bei uns der erste Longplayer des Sängers aus Lubbock, Texas. Holly kam mit Ritchie Valens und dem Big Bopper bei einem Flugzeugabsturz am 3. Februar 1959 ums Leben

Buddy Holly gehört zu den einflussreichsten Interpreten des Rock ’n‘ Roll. Zahlreiche spätere Gruppen, so auch Beatles und Rolling Stones, haben seine Titel gecovert. Die vier in Deutschland bis 1965 veröffentlichten Original-LPs von Buddy sind selten, da nur in kleiner Auflage gepresst. Der Rock ’n‘ Roll war bei uns längst nicht so populär wie in den USA und in England.

Mein Lieblingsinstrument ist die E-Gitarre, unterstützt von viel Echo und Hall. Diese LP von Chet Atkins erschien 1961 auf dem legendären RCA „Living Stereo“ Label. Klangqualität super! Toll auch das Cover – ein Blick in das Aufnahmestudio von „Mr. Guitar“ mit seiner roten Gretsch

Chet Atkins war ein Country-Musiker und Session-Gitarrist. Er ist unter anderem auf frühen Aufnahmen von Hank Williams, Don Gibson und den Everly Brothers zu hören. In den 1960er Jahren stieg Atkins zum Produzenten auf und wurde Mitbegründer des „Nashville Sound“. Er selbst spielte auf RCA zahlreiche Langspielplatten mit instrumentaler Musik ein – wie diese LP. Bedeutend war seine Zusammenarbeit mit den Gitarrenbauern Gretsch und Gibson. Atkins wurde mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht, darunter 14 Grammys.

Bei Bo Diddley brauchte ich Zeit, um den monotonen Grundrhythmus der Musik schätzen zu lernen. Hier die englische Ausgabe seiner dritten LP, die 1960 auf dem Checker-Label herauskam

1958 baute der Rock- und Bluesmusiker für sich eine E-Gitarre mit rechteckigem Korpus. Dieses eigenwillig gestaltete Instrument wurde zu seinem Markenzeichen. Angelehnt war es an eine aus Armut entstandene und im Blues nicht unübliche Version der Gitarre, bei der der Korpus aus einer Holz- oder Zigarrenschachtel bestand. Diddley bevorzugte die rechteckige Form, da ihn angeblich die Korpushörner anderer E-Gitarren auf der Bühne störten.

Unter seinem bürgerlichen Namen Ellas McDaniel schrieb der Künstler Songs wie Mona, der unter anderem von den Rolling Stones gecovert wurde. Vorherrschend in seiner Musik ist der „Bo Diddley Beat“ – auch als „Salesman’s Knock“ bezeichnet, weil reisende Händler damit an die Haustüren klopften. Beispiele für diesen synkopischen Rhythmus sind sein 1955 erschienener Titel Bo Diddley – oder auch Buddy Hollys Komposition Not Fade Away.

Diese LP von Ray Charles entstand 1960 bei ABC Paramount. Seine bluesigen Sounds von Atlantic Records waren von Geigen untermalten Arrangements gewichen. Hier die britische Ausgabe auf His Master’s Voice. Sammler bevorzugen englische Pressungen wegen ihrer im Vergleich zu den US-Ausgaben besseren Klangqualität

Beim ABC Paramount feierte Ray Charles unter dem Produzenten Sid Feller kommerzielle Erfolge. Mit dem im August 1960 veröffentlichten Georgia On My Mind landete er nach What’d I Say bei Atlantic seinen zweiten Millionseller. Hit The Road Jack kam im August 1961 auf den Markt und setzte ebenfalls über eine Million Exemplare um. Sein größter Hit erschien im April 1962 mit I Can’t Stop Loving You, einem Country-Klassiker, der über zwei Millionen Mal verkauft wurde.

Blues, Rhythm & Blues, Doo-Wop

Im Lauf meiner Schallplattenkarriere habe ich mich immer tiefer in die fünfziger Jahre eingegraben – und dort weitere spannende Themen entdeckt. In den USA besteht für Blues, Rhythm & Blues und Doo-Wop unter Plattensammlern meines Alters ein zahlungskräftiger Käuferkreis. Dementsprechend die Preise – besonders für die ersten Vinyl-Singles nach Einführung des Formats durch RCA 1953. Weil man zum Abspielen ja erst mal einen Plattenspieler mit der zusätzlichen Drehzahl 45 U/min besitzen musste, wurde diese Schallplatten nur in kleinen Auflagen produziert.

Schwarze Plattenkäufer hatten wenig Geld – Grund für die relativ geringe Zahl an LPs dieser musikalischen Richtungen. Viele dieser Langspielplatten bewegen sich heute in dreistelligen, einige sogar in vierstelligen Preisregionen – Bestzustand natürlich immer vorausgesetzt.

Allerdings haben viele Plattensammler vom Wert ihrer Scheiben falsche Vorstellungen. Als Faustregel gilt: Exemplare in ordentlichem, geplegten Zustand (VG+) haben nur die Hälfte des Wertes einer nahezu ladenneuen Schallplatte (Near Mint). Bei sehr selten Ausgaben ist noch der Zustand VG tolerabel. Solche Platten besitzen aber nur noch ein Viertel des Wertes eines neuwertigen Exemplars. Schlechtere Einstufungen wie „G“ kann jeder ernsthafte Sammler vergessen. „Gut“ sollte eigentlich nicht „schlecht“ bedeuten – aber das ist in der Welt des Vinyls leider so.

Buster Brown war ein US-amerikanischer Blues-Sänger und Harmonikaspieler. Am bekanntesten ist sein auf dieser LP veröffentlichter Hit Fannie Mae, den auch Twist-König Joey Dee & his Starliters aufnahm. Hier die seltene Erstpressung seiner einzigen LP, die später wiederveröffentlicht wurde

Buster Brown war schon beinahe 50 Jahre alt, als er 1959 Fannie Mae aufnahm – ein Titel, der ihm Platz eins in den amerikanischen Rhythm & Blues Charts bescherte.

Erschienen ist diese Langspielplatte 1960 auf dem winzigen FIRE Label aus New York. Mit tausenden von Klein- und Kleinstlabels und geringen Zugangsbarrieren für Künstler hatte die Schallplattenbranche in den USA eine ganz andere Struktur als die in Europa. In den Hinterzimmern amerikanischer Drugstores konnten Besucher für wenige Dollar selbst eine Aufnahme machen. Davon wurden dann vielleicht 100 Singles gepresst, die man anschließend unter Freunden und Verwandten verschenkte.

Fast vergessen: Easy Listening

Als Rock ’n‘ Roll-Liebhaber lasse ich es auch heute noch gern „krachen“. Aber nach drei, vier wilden Plattenseiten spüre ich am Abend das Bedürfnis nach einem „Absacker“, um vor dem Schlafen noch etwas zur Ruhe zu kommen. Was würde sich dazu besser eignen als Easy Listening? LPs dieser Richtung bilden bei mir eine eigene Abteilung.

Die große Zeit des instrumentalen Easy Listening waren die mittleren 1950er bis frühen 1970er Jahre mit Orchestern wie Ray Conniff, Percy Faith, Bert Kaempfert, Nelson Riddle und Billy Vaughn. Diese Musik lief viel im Soldatensender AFN. Heute ist sie praktisch ausgestorben.

Hier eine LP des US-Pianisten Floyd Cramer auf RCA Living Stereo, mit der ich meine abendliche Plattensession gern beende. Mir gefällt Floyds melancholischer Piano-Anschlag. Im Hintergrund säuseln die Anita-Kerr-Singers. Bei seinen gekonnten Arrangements kann man nur noch die Augen schließen. Superstarkes Cover!

Mit Chet Atkins, Boots Randolph und anderen Künstlern schuf Cramer den Nashville Sound. Er arbeitete mit zahlreichen Country-Interpreten, aber auch Pop-Größen wie Paul Anka, Brenda Lee, Roy Orbison und Elvis Presley zusammen. Der Pianist brachte insgesamt über 50 Alben heraus. Seine Single On The Rebound gelangte 1961 in Großbritannien auf Platz eins der Hitparade. Last Date war die Kennmelodie der Sendung Musik zum Träumen, die im Sender Österreich 3 von 23.05 Uhr bis Mitternacht lief.

Frank Sinatra zählt nicht gerade zu meinen bevorzugten Interpreten. Diese LP von 1958 bleibt wegen des wunderschön gemalten Covers und seines besonderen Motivs in der Sammlung. Der berühmte Sänger und Entertainer lädt dazu ein, mit der Super Constellation der Trans World Airways über den Atlantik zu fliegen

Eine Unterabteilung des Easy Listening ist südamerikanische Tanzmusik. Calypso, Stroll und Cha Cha Cha waren Ende der 1950er Jahre schwer angesagt. Fast jedes Orchester brachte solch eine „Latin-LP“ heraus. Hier ein Exemplar des britischen Bandleaders Ted Heath auf Decca-London in „ffss Stereophonic“ Klangqualität

Mono-LP des Kubaners Pérez Prado auf RCA Victor. Mit den Riffs eines fünfstimmigen Trompetensatzes und Kontrapunkten durch den vierstimmigen Saxofonsatz machte der König des Mambo diesen Tanz auch bei uns populär. Sein Ohrwurm Patricia landete 1958 auf Platz eins der Charts in Deutschland und in den USA

Ten-Inch-LP der frühen 1950er Jahre mit einem für die Zeit typischen Cover. Les Paul spielte seine E-Gitarre im Multitrack-Verfahren mit viel Echo und Hall – das wollte der Designer in dieser Mehrfach-Darstellung des Künstlers ausdrücken

Les Paul leistete Pionierarbeit beim „Multitrack Recording“ sowie dem Entwickeln von Echo- und Halleffekten. Außerdem war der US-amerikanische Gitarrist maßgeblich an der Weiterentwicklung der elektrischen Gitarre beteiligt. Die von ihm entworfene und von Gibson gebaute E-Gitarre zählt zu den berühmtesten Modellen überhaupt – die Gibson Les Paul.

Heiße Saxophone mag ich besonders. Auf dieser Capitol-LP von 1958 stößt Sam Butera in sein „Horn“. Dies ist eine Radio Station Copy – an dem Stempel „Demonstration – Not For Sale“ zu erkennen. In den 1950er Jahren waren „Honkers“ wie Butera sehr beliebt

Sam Butera wurde 1954 vom Gesangsduo Louis Prima und Keely Smith nach Las Vegas engagiert, deren Begleitband er leitete. In dieser Zeit sind viele der bekanntesten Aufnahmen von „Sam Butera & The Witnesses“ entstanden. Butera arbeitete auch mit Frank Sinatra sowie mit Sammy Davis Jr. zusammen. Andere bekannte Saxophonisten jener Zeit waren Earl Bostic, Joe Houston und – ganz heiß – Big Jay McNeely.

Ende einer Ära

Ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre änderten sich Musik und Schallplattencover grundlegend. Progressiver Rock, Woodstock & Co., Heavy Metal sowie Konzeptalben hatten Hochkonjunktur. LPs dieser Stilrichtungen bilden heute auf Plattenbörsen den Schwerpunkt des Angebots. Unter den Besuchern Alt-68er, Männer mit Madonnenscheitel oder Pferdeschwanz.

Schallplattenbörse in der Jahrhunderhalle Hoechst – vor Corona

Angekündigt hatte sich der Wandel schon mit der Beatwelle, die um 1963 begann. Während der damals noch vorherrschende Twist nur eine Fortsetzung des Rock ’n‘ Roll mit anderen Mitteln war, klangen nun neue Töne an. Nach Schmalzfrisuren und Nietenhosen wurden Pilzköpfe und Beat-Stiefel mit seitlichem Gummizug modern.

Allerdings ahnte niemand, wie radikal die Richtungsänderung dann werden würde. Denn musikalisch orientierten sich die Beatgruppen 1963 – 1965 noch am Rock ’n‘ Roll, coverten Titel von Chuck Berry, Little Richard, Carl Perkins oder Larry Williams. Nur wenige Formationen wie Beatles und Stones schafften die Transformation in die neue Zeit. Die meisten Beatbands kamen damit nicht zurecht und mussten nach 1966 aufgeben.

Der einheitliche Auftritt der Gruppen mit Schlips und Jackett war, wie das folgende Bild zeigt, damals üblich.

George Harrison, John Lennon und Paul McCartney 1958 bei einem Auftritt in Liverpool

Mitglieder der Beatles spielten gegen Ende der 1950er Jahre in kleinen Vorgruppen reinrassigen Rock ’n‘ Roll. Auch bei ihren Engagements auf der Hamburger Reeperbahn im Indra – einem Stripclub – sowie in den Tanzlokalen Kaiserkeller und Star-Club änderte sich daran wenig. Wehende Mähnen, Nickelbrille, Yoko Ono und Nacktbilder lagen da noch in weiter Ferne.

Ähnlich bescheiden die Anfänge der Rolling Stones: Ihre Akteure lernten sich 1962 in der Londoner Wohnung der englischen Blues-Legende Alexis Korner kennen, die Treffpunkt aller möglichen Musiker war. „Viele blieben gleich zum Essen“, erinnerte sich Korner in einem Interview. „Weil wir damals alle sehr wenig Geld hatten, kaufte meine Frau einmal die Woche einen großen Sack Hülsenfrüchte, oder was sonst gerade am billigsten war. Dann wurde in einem großen Topf für eine Woche auf Vorrat gekocht. Mick Jagger war froh, wenn es Erbsensuppe gab.“

Rolling Stones auf Ten Inch? Diese Zehn-Zoll-LP hat Decca 1965 als Sonderauflage für einen deutschen Schallplattenclub produziert. Einer der Raritäten in meiner Merseybeat-Abteilung. Katalogwert dieser Schallplatte im Zustand Near Mint etwa 500 Euro

Ab 1966/67 blieb musikalisch kein Stein mehr auf dem anderen. Neue Gruppen trugen nicht mehr den Artikel „The“ vor ihrem Namen. Die Plattencover sahen auf einmal komplett anders aus. Die Beatles kamen von einem Besuch bei Maharishi Yogi in Indien völlig verändert zurück. Von der danach entstandenen Konzept-LP „Sgt. Pepper“ waren meine Mitschüler begeistert – ich nicht.

Dieser Umbruch, als auch Elvis Presley sich auf dem Tiefpunkt seiner Karriere befand, bedeutete für mich eine schwere Zeit. Damals habe ich kaum noch Schallplatten gehört. Meine jüngere Schwester hörte John Mayall und Jimi Hendrix. Beim Wimmern der Fuzz-Gitarrren drehte sich mir der Magen rum.

Intellektuell kamen nicht alle damit zurecht. Es ist kein Zufall, dass gerade in diesem Zeitabschnitt einfach gestrickte Schlagersänger wie Engelbert Humperdinck, Roy Black oder Heintje und Entertainer wie Dieter Thomas Heck große Erfolge feierten. Die Gegenentwürfe waren aber auch nicht meine Welt.

LP auf dem amerikanischen Label Vee-Jay aus meiner Sammlung. Sie zeigt die Beatles 1963 mit Anzug und Krawatte. Die wenigen in den USA erschienenen Beat-LPs sind begehrt. Von diesem Longplayer existiert auch eine Raubpressung. Damals gefielen mir die „Fab Four“ noch …

Lichtblick für mich dann 1968, als Bill Haley mit „Rock Around The Clock“ wieder in der englischen Hitparade stand. „Geht das alles denn schon wieder los?“ titelte damals der New Musical Express in Anspielung auf den Umstand, dass bei Rock ’n‘ Roll Konzerten 1957 Stuhlreihen zu Bruch gingen.

Es war der Beginn eines bis dato nicht für möglich gehaltenen Revivals. Mancher Liebhaber hatte mit Beginn der Beatwelle seine nicht mehr gefragten Rock ’n‘ Roll-Singles auf billige irische „Shamrock“-Bänder überspielt, die 18er Spule für siebenfuffzig, um sie dann für ein paar Pfennig noch an den Mann zu bringen. Der musste jetzt mit dem Plattensammeln nochmal von vorn beginnen.

Natürlich ist diese Wiederauferstehung über all die Jahre nur eine Nische geblieben – aber in der fühle ich mich mit meinen Schallplatten wohl. Die Nische ist so ungewöhnlich, dass die Tagespresse schon mehrfach über die Aktivitäten in meiner Einliegerwohnung berichtet hat:

http://www.taunus-zeitung.de/lokales/hochtaunus/vordertaunus/Joachim-Bung-besitzt-8000-Platten-aus-den-50er-und-60er-Jahren;art48711,2922588

Beitrag von Dr. Klaus Andrießen in der Wetzlarer Neuen Zeitung
Dieses Foto ist im Highend-Studio „Just Music“ von Rodney Fiedler in Frankfurt-Sachsenhausen entstanden – Zeitungsausschnitt aus der Frankfurter Neuen Presse