Staubig im Regal: Tonarm A 1-500
Neu in meiner Sammlung ist ein US-Tonarm mit dem seltsamen Beinamen „Baton“, der möglicherweise aus der griechischen Mythologie stammt. Das Modell A 1-500 hat General Electric (GE) schon 1954 der amerikanischen Fachwelt vorgestellt.
Thorens TD 124/II mit Tonarm A 1-500 von General Electric. Immer wieder ein Hingucker: die klassische Ortofon-Zarge ST-104
Anbieter der unten offenen ST-104 bezeichnen sie wegen ihrer Form und ihrer gelegentlichen Verwendung mit Ortofon-Tonarmen gern als „Ortofon-Zarge“ – um dafür mehr zu erlösen
Dabei darf sich die Thorens-Konsole ST-104 mit ihren abgerundeten Ecken und leicht angeschrägten Seiten nur dann so nennen, wenn sie rechts unten das goldene Ortofon-Logo aus massivem Metallguss trägt. Diese Zargen wurden von Ortofon aus der Schweiz bezogen und für den skandinavischen Markt mit dem Firmenschriftzug versehen. Sie sind viel seltener als die normale ST-104 aus dem Holzwerk in Sainte-Croix und werden heute hoch gehandelt.
Thorens-Konsolen ohne den Schriftzug sind keine „Ortofon-Zargen“!
Der General Electric kam mit allen Unterlagen aus den USA. Höchstwahrscheinlich war der Arm vom Baujahr 1955 noch nie montiert worden, lag bei einem Vororthändler im staubigen Regal. Sogar ein Schild mit Montagehinweis des Herstellers hing noch am Armsockel.
Fuß in grauem Kräusellack. Armkabel wurden damals noch nicht zwingend im Sockel herabgeführt. Bei hohen Auflagekräften war ihr Einfluss auf die Leichtgängigkeit des Tonarms vernachlässigbar
Der Hersteller bezeichnete seinen VR-Tonabnehmer, kombiniert mit dem Baton, als „einen der wichtigsten Beiträge der letzten Jahre zur Verbesserung der Musikwiedergabe“. Betont wurde die äußerst schonende Abtastung von Schallplatten dank niedriger Auflagekraft und nahezu reibungsfreier Lager. „Verzerrungen im Tieftonbereich verschwinden – Sie genießen das ganze Frequenzband von 20 Hertz bis zur Hörgrenze.“
Nach dem Urteil der Zeitschrift High Fidelity in der August-Ausgabe 1954 zählte der General Electric-Tonarm zu den besten erhältlichen Vertretern. „Mit seiner flexiblen Einsatzmöglichkeit, der bequemen Handhabung und der großen Plattenschonung verdient der Baton höchstes Lob.“
Lieferbar war vom Baton auch eine Studioversion A 1-501 für 16-Zoll-Transkriptionsschallplatten im Rundfunk.
16 Zoll-Tonarm A 1-501 im Einsatz bei einer amerikanischen Radiostation. Zeitgenössische Darstellung aus einer alten Ausgabe der Zeitschrift High Fidelity
Beim Baton-Tonarm ist das Vertikallager im Sinne geringerer effektiver Masse und besserer Abtastfähigkeit welliger Schallplatten weit vorn angeordnet. Das zweiteilige Armrohr lässt sich nur horizontal, nicht vertikal bewegen. Eine in den USA nicht unübliche Konstruktion. Andere Beispiele sind Fairchild 282, Pickering 190 und Shure Dynetic. Das Vertikallager fungiert im Fall des Baton als Verbindungsglied zwischen den beiden parallelen Armrohren und dem Tonkopf. Verbunden mit dem massiv wirkenden Lager ist aber nicht nur der Tonkopf, sondern auch eine nach hinten zeigende, parallel zu den Armrohren verlaufende Führungsstange mit rechteckigem Querschnitt.
Auf der Stange mit Grammskala läuft ein Gewicht entlang, mit dem man die Auflagekraft reguliert. Die Skala bis 15 (!) Gramm ist nicht sonderlich genau
Clou: Drückt man die Stange an ihrem hinteren Ende nach unten, schwenkt der Kopf bis zu 90 Grad nach oben. In dieser Stellung lassen sich Tonabnehmer und Abtastnadel bequem inspizieren. Auch die Montage eines Tonabnehmers gelingt auf diese Weise leichter. Interessanter Effekt: Beim Abspielen einer welligen Schallplatte bewegt sich die mit dem Kopf verbundene Stange im Rhythmus der Wellen auf und ab.
Auffallend am Baton ist der sehr geringe Überhang hinter der Drehachse. In den 1950er Jahren wurden Plattenspieler meist in beengte Schrankbabteile eingebaut. Da kam’s auf jeden Zentimeter an – und die kurze Bauform des Arms war ein Verkaufsargument.
Professionelle Revision
Meinen Baton hat Peter Feldmann sorgfältig restauriert, neu verkabelt und einen Schaden am Vertikallager beseitigt.
Der spielfertige Tonarm wurde auf ein schmales Thorens-Brett gesetzt. Unter dem Brett befinden sich Abschirmhülse und Phonokabel zum Anschluss an den Verstärker
Als Mensch mit zwei linken Händen bin ich dankbar, einen technischen Experten wie Peter an meiner Seite zu haben. Der Ankauf eines historischen Tonarms macht für mich nur mit der Gewissheit seiner Fachkunde und Unterstützung Sinn. Mit einem Partner, der Schäden durch „Obstmesserreparaturen“ amerikanischer Vorbesitzer zu beseitigen weiß.
Peter Feldmann ist Spezialist für Tonarme, Plattenspieler und Analogtechnik. Hier justiert der Fachmann einen Fidelity Research FR-66 S
Meinen Revisonsbericht hat Feldmann ergänzt:
„Wegen der hinteren starren Lageranordnung ist es wichtig, dass die horizontale Drehachse des Tonarms exakt senkrecht steht. Tut sie das nicht, ergeben sich durch den schweren Arm recht große Skatingkräfte an der Nadel. Der Arm will dann immer zu seiner tieftsmöglichen Position schwenken. Um senkrechtes Stehen zu erreichen, gibt es eine Besonderheit am Montageflansch: Seine Unterseite – die Fläche, die direkt auf dem Armbrett liegt -, ist ballig ausgeführt. Gut zu sehen, wenn man den Montageflansch am Übergang zum Armbrett von der Seite aus betrachtet. Hier ist ein umlaufender Schlitz zu erkennen. Die Konstruktion ist so gedacht, dass man mit den drei Befestigungsschrauben den Flansch ausrichten, das heißt verkippen kann. Ich habe das so eingestellt, dass der Arm bei waagerecht liegendem Armbrett richtig steht.“
Der Tonarm aus den USA war komplett – bis auf ein wichtiges Teil: Es fehlte die originale Armstütze, ohne die man den Baton im Ruhestand nicht arretieren kann.
Die gabelförmige Stütze meines Arms ist ein Nachbau anhand eines alten GE-Fotos. Eine Meisterleistung – Sonderanfertigungen solcher Art sind eine Spezialität des Bad Homburger Technikers
Armbrett aus Kunststein
Das hochwertige Brett des Baton stammt von Konne Design im thüringischen Rudolstadt. Es besteht aus Corian – ein sehr stabiles, resonanzfreies Material, das sich laut Peter Feldmann gut bearbeiten lässt.
Firmeninhaber Stefan Konarkowsky ist zurzeit der einzige Anbieter von Thorens-Brettern bei eBay. Ein Hersteller aus Ungarn, der Holzbretter mit hervorragendem Finish zu günstigeren Preisen lieferte, hat sich offenbar vom Markt zurückgezogen. Das ungewöhnliche Rot des Konne-Armbretts habe ich bewusst gewählt – als Kontrast zum grauen Kräusellack (!) des General Electric, der etwas düster wirkt.
Prüfstein bei Thorens-Brettern ist außer der Oberflächenvergütung immer der Passer für die Brettschrauben. Manchen fehlt es da an der notwendigen Genauigkeit. Was mich mitunter fast zur Verzweiflung brachte und zur Anschaffung einer 4-Millimeter-Rundfeile führte, um die Löcher nachzufeilen.
Wenn das Eindrehen der Schrauben nicht auf Anhieb gelingt, sollten Sie an Ihrem Thorens TD 121 oder TD 124 keinesfallls versuchen, die Schrauben mit Gewalt in die drei Gewinde des Brettträgers einzuschrauben. Besser ist es, die Schrauben zunächst nur gerade soweit einzudrehen, bis die Gewinde sie fassen. Dann das Brett leicht hin und herbewegen und dabei die Schrauben Stück für Stück eine oder zwei Umdrehung weiter einschrauben. Das Brett abermals bewegen und den beschriebenen Vorgang bis zum festen Sitz der Schrauben fortsetzen.
Den Baton habe ich mit einem passenden Magnet-Tonabnehmer M 7 D von Shure ausrüsten lassen. Feldmann hat die Auflagekraft mit rund fünf Gramm gewählt. Da schaudert’s natürlich jedem High Ender – aber für audiophile LPs ist der Arm auch nicht gedacht. 1955 gab es nur Mono-LPs, auf deren Hüllen folgender Hinweis stand: „Nadel staubfrei halten und die Schallplatte mit nicht mehr als 10 Gramm Auflagekraft abspielen.“ Dem entsprechend halten solche Scheiben fünf Gramm problemlos aus. Der Klang der Arm-Abtaster-Kombination mit alten Monos ist super. Rumpeln in Verbindung mit dem Thorens TD 124/II – kein Thema.
Musikgenuss – dafür einen Kuss! – Im Bild mit dem Pärchen ein Laufwerk Rek-O-Kut Rondine mit Baton-Tonarm
Ausflug ins HiFi-Geschäft
General Electric, 1892 gegründet, gilt heute als einer der größten Mischkonzerne der Welt. Dem amerikanischen Otto Normalverbraucher ist die Firma vor allem als Produzent von Elektronenröhren, Glühbirnen und Haushaltsgeräten in der Erinnerung – Geschäftsfelder, die längst aufgegeben sind.
Zu den Sparten von General Electric zählte eine Zeit lang auch Audiotechnik für professionelle Anwendungen, etwa Ausrüstungen für Rundfunkstudios. Anfang der 1950 Jahre wollte GE auf dem viel versprechenden HiFi-Sektor Fuß fassen. Zum Sortiment gehörten Verstärker, Tuner und Lautsprecher, aber auch Musiktruhen.
Vor Einführung der RIAA-Norm 1955 benutzten Schallplattenfirmen für Vinyl und Schellacks eine Vielzahl von Kennlinien. Zur korrekten Musikwiedergabe benötigte man damals solche „Record Compensator“
Größtes Arbeitsfeld in der HiFi-Sparte waren Tonabnehmer mit dazu passenden Phonoentzerrern, allen voran die Systeme nach dem „Variable Reluctance“-Prinzip. Berühmt ist das General Electric VR-II mit Wendenadel für Mikro- und Normalrillen und dem typischen roten Umschalter auf den Oberseiten zahlreicher zeitgenössischer Tonköpfe. Auch Thorens stattete seinen Tonarm BL 104 für die Modelle TD 124, TD 134 und TD 184 damit wahlweise aus.
Thorens TD 124/II mit Tonarm Rek-O-Kut S-120. Im Tonkopf das General Electic VR-II mit rotem Umschalter zwischen Normal- und Mikrorillen
Nur Randgebiet waren Tonarme – als Ergänzung des angestammten Pickup-Geschäfts. Bis Anfang der 1960er Jahre, als der HiFi-Bereich wieder aufgegeben wurde, gab es lediglich zwei Modelle.
Nach dem Baton aus der Mono-Ära folgte 1959 der General Electric TM-2 G. Speziell für die neuen zweikanaligen Langspielplatten entworfen, trägt dieser Zehnzoll-Arm den Beinamen „Stereo Classic“.
Der Tonarm TM-2 G wurde vom Frankfurter GE-Importeur Herbert Anger sogar nach Deutschland eingeführt und zur Verwendung auf dem ebenfalls von Anger vertriebenen Thorens TD 124 empfohlen.
Tonarm TM-2 G „Stereo-Classic“ von General Electric – hier auf einem Thorens TD 121 mit Decca Microlift und passendem Magnetsystem M 33 von Shure
Selbst die Zeitschrift fono forum (Heft 9/1960) beschäftigte sich in einem Testbericht mit dem Exoten. Einzeln erhältliche Tonarme waren damals bei uns dermaßen ungewöhnlich, dass der Redaktion zwei peinliche Fehler unterliefen – die bei der Heftkorrektur niemand bemerkte. In der gedruckten Ausgabe wurde das Foto des General Electric TM-2 G nicht nur gekontert reproduziert, der Arm war auch kopfüber abgebildet!