Der seltenste im Bolex-Programm

Thorens-Importeur Paillard-Bolex lieferte den TD 124 nicht nur als Laufwerk oder mit Werkstonarm, sondern auch mit vormontierten Fremdtonarmen. Gängigste Partner, wenn es eine um eine anspruchsvolle Bestückung ging, waren die englischen Modelle SME 3009/II und 3012/II.

Weniger gefragt waren spielfertige TD 124 mit Ortofon-Tonarm, den Modellen SMG 212, RMG 212 oder RMG 309. Während sich der Nachteil des fehlenden Lifts noch durch Installation eines Ortofon Hi-Jack ausgleichen ließ, empfand mancher Interessent den nicht vorhandenen Driftausgleich als Manko.

Mit Einführung des Thorens TD 124/II kam 1965 der Ortofon RS 212 ins Bolex-Programm. Der Arm besaß jetzt magnetisches Antiskating, war aber teurer als der kurze SME. Wobei das Anschlusskabel noch extra bezahlt werden musste. Entsprechend geringer blieben auch hier die Verkaufszahlen.

Was aber heute kaum noch einer weiß: Der Thorens TD 124/II war aus München mit einem weiteren vormontierten Tonarm als Komplettpaket lieferbar – dem amerikanischen Pickering Stanton „Unipoise 200“, ergänzt um die Aufsetzhilfe Ortofon Hi-Jack Mk. I. Hier der Auszug aus dem Bolex-Gesamtprospekt:

Beschreibung des Stanton 200 Unipoise im Gesamtprospekt von Paillard Bolex

Dazu heißt es vom Importeur: „Ein superleichter Tonarm für besonders hohe Ansprüche. Der Unipoise kennt praktisch keine Lagerreibung, da er an einem einzigen Punkt aufgehängt ist und mit Auflagegewichten zwischen 1 und 3 Gramm den Rillen der Schallplatte folgt.“

Bolex-Werkstattleiter Johann Gurinov war von dem preiswerten einpunktgelagerten Stanton weniger begeistert. „Ach – die Wackelgeschichte“ meinte er nur, als ich ihn darauf ansprach. Der Unipoise blieb Ladenhüter im Bolex-Programm.

Thorens TD 121 mit „Wackelgeschichte“: Auf diesen seltenen Tonarm in meiner Sammlung bin ich stolz

Heute ist ein Thorens TD 124 mit vertriebsseitig vormontiertem Stanton-Tonarm extrem selten. Ich habe diese Kombination während zehn Jahren intensiver Beobachtung im Online-Auktionshaus nur ein einziges Mal gesichtet – und den sehr gut erhaltenen Unipoise gegen heftigen Widerstand eines offenbar kenntnisreichen Mitbieters ersteigert.

Der Pickering Stanton Unipoise 200 macht auf meinem Thorens 121 „bella figura“

Verkäufer war ein Frankfurter Haushaltsauflöser, der den seltenen TD 124 typischerweise auseinanderpflückte, um für Laufwerk, Tonarm und den begehrten, ebenfalls von Paillard-Bolex vertriebenen Ortofon Hi-Jack mehr als für ein Komplettangebot des Plattenspielers zu erlösen. Dummerweise hatte der Ahnungslose das für den Stanton gebohrte Armbrett auf dem Thorens TD 124 belassen und damit veräußert. Doch er war so fair, mir die Kontaktdaten des Käufers zu geben. So konnte ich dem neuen Besitzer des TD 124 das für ihn nutzlose Brett abkaufen.

Anschließend hat Peter Feldmann den Arm fachgerecht restauriert, mit einem Pickering-Stanton-Tonabnehmer 380 versehen und für den labilen Kabelanschluss unter dem Armbrett eine bessere Lösung gefunden.

Die Armstütze samt sichernder Klammer rechts von der Liftbank ist ein Nachbau von Peter Feldmann anhand der Prospektabbildung

Bei der Überholung entstand auch der Nachbau der gabelförmigen Stütze, die bei dem von mir erworbenen Arm fehlte – vom Original nicht zu unterscheiden. Wegen der labilen Armkonstruktion versah der Techniker die Stütze sogar mit einer sichernden Klammer. Dem Vorbesitzer hatte es genügt, den wackeligen Stanton im Ruhezustand ungesichert auf der Bank des Hi-Jack zu belassen.

Ultraleichte Konstruktion

Seitenansicht des Amerikaners: Der Beiname „Unipoise“ weist auf die Einpunktlagerung des Tonarms hin

Der Stanton Unipoise ist ein Tonarm sehr einfachen Aufbaus. Der Hersteller spricht von einem „simplen, funktionalen Design“. Das gerade Armrohr besteht aus einem innen hohlen Aluminiumprofil mit quadratischem Querschnitt. Auf ihm befindet sich ein Laufgewicht zum Einstellen der Auflagekraft. An der Außenseite hat das Profil eine Einteilung von einem bis drei Gramm. Dank der weiten Spreizung der Unterteilungsstriche lässt sich der Auflagedruck mit einer Genauigkeit von 0,1 Gramm einstellen.

Tonkopf mit Stanton-Tonabnehmer 380. Der nach oben zeigende Kopfgriff – eine schrullige Designidee – ist im Umgang gewöhnungsbedürftig

Der abgewinkelte, vorn offene Tonkopf aus hellgrauem Kunststoff mit Firmenlogo hat einen markanten, eigenwilligen Griff. Dieser befindet sich nicht wie üblich an der Seite des Kopfes. Er ragt vielmehr am hinteren Ende steil nach oben und endet nach hinten in einem Knick. Offensichtlich sollte der Griff, der eigentlich keiner ist, den Stanton unverwechselbar machen. Der Benutzer weiß nicht wirklich, wie man den Kopf damit sicher anfassen und zum Rand der Schallplatte führen kann.

Wichtigstes Entwicklungsziel war die Eignung des Stanton Unipoise für Tonabnehmer sehr niedrigen Auflagedrucks. Dazu dient die ultraleichte Konstruktion. Die gesamte bewegte Masse beträgt nur 170 Gramm. Für vertikales Ausbalancieren sorgt ein kantiges Gegengewicht, dessen große Stellschraube – auch ungewöhnlich – sich an der Innenseite befindet. Korrekt in Balance gebracht, ruht der Arm auf seinem einzigen Lagerpunkt und dreht sich frei nach allen Richtungen.

Wer beim Verkauf eines historischen Tonarms die wichtige Einbauschablone vorweisen kann, hat einen Trumpf in der Hand

„Hat man den Stanton korrekt installiert“, so 1963 ein Bericht der United States Testing Company (UTSC), „ist seine Lagerreibung komplett vernachlässigbar – niedriger als bei allen anderen von uns untersuchten Tonarmen.“ Im Resümee bezeichnet UTSC den Stanton Unipoise als hochwertig. „Mit dem Pickering-Stanton-System ergibt sich eine logische Kombination, die jeder anspruchsvolle Schallplattenfreund in Betracht ziehen kann.“

Tonabnehmer und Plattenspieler

Stanton ist vor allem durch seine gut beleumundeten Magnetabtaster bekannt– von den beliebten Modellen Pickering-Stanton 380, 381 und 481 über das unverwüstliche Stanton 500 für harten Studioeinsatz bis zu den verfeinerten Typen der 681er Baureihe mit dem typischen kleinen Besen am Visier. Heute tragen bekannte Diskothekenspieler den Namen.

Firmenchef Walter O. Stanton wurde 1948 Mitarbeiter von Pickering, einem traditionsreichen Hersteller von Tonabnehmern, Tonarmen und Phono-Zubehör. 1950 übernahm er das Unternehmen mit einigen Investoren und entwickelte in Folge unter der Marke Pickering seine eigenen patentierten „Fluxvalve“-Pickups mit auswechselbarem Nadelträger. Anfang der 1960er Jahre gründete der Elektro-Ingenieur mit Stanton Magnetics eine zweite Firma für Magnetsysteme und stand beiden Unternehmen bis 1998 vor.

Firmengründer Walter O. Stanton war ab 1962 Präsident des Institute of High Fidelity und vier Jahre lang US-Gouverneur

Raffinierte Magnetlagerung

Stanton hatte außer seinen Abtastern auch einen Plattenspieler im Programm – der serienmäßig mit dem Tonarm Pickering Stanton „Unipoise 200“ ausgerüstet war. Das Stanton 800 B genannte Modell war eine Weiterentwicklung des eintourigen Pickering-Laufwerks Gyropoise 800 mit Tonarm Pickering 196 Unipoise und Fluxvalve-Abtaster.

Besonderes Konstruktionsmerkmal des Pickering Gyropoise 800 mit Tonarm 196 Unipoise ist das Magnetlager des Plattentellers

Um Rumpeln zu vermeiden, das besonders beim Abspielen der damals neuen Stereoschallplatten stört, hat der Pickering nicht das übliche Hauptlager, dessen lange Achse am unteren Ende der Lagerhülse auf einer Druckplatte ruht. Der nur 1,5 Kilogramm wiegende Plattenteller schwebt vielmehr elegant auf einem Luftkissen. Einzige Aufgabe der kurzen Achse ist es, den Teller während des Laufs zu zentrieren.

Das Luftkissen wird durch zwei Ringmagnete erzeugt, deren Pole sich gegenseitig abstoßen. Der obere Magnet ist mit der Unterseite des Tellers verbunden, der untere umschließt die Öffnung der Lagerhülse. Die Verbindung zwischen Teller und Antriebsmotor übernimmt ein Reibrad mit Kunststoffkern und Bereifung aus steifem Neopren. Dank des Magnetlagers besteht außer dem Reibrad zwischen Teller und Chassis nur geringer mechanischer Kontakt.

Auch der eintourige Stanton 800 B hat das Magnetlager des Plattentellers – in weiterentwickelter Form. Der Tonarm Stanton 200 Unipoise ist auf einem separaten Brett bereits vormontiert. Das Brett findet mit Hilfe von Führungsnasen im Ausschnitt auf der rechten Seite der Grundplatte seinen Platz.

Bauzeichung des Stanton-Plattenspielers 800 B – Abbildung aus meinem Großwerk SCHWEIZER PRÄZISION

Wie die Bauzeichnung veranschaulicht, ruhen das magnetische Tellerlager und das von einem weiteren Magneten (!) fixierte Armbrett auf einem gemeinsamen, durch Gummipuffer vom Chassis abgefederten Träger. Dadurch stehen beide Teile in der wünschenswerten festen Verbindung zueinander.

Der Plattenteller des Stanton 800 B von knapp 30 Zentimeter Durchmesser ist mit Rücksicht auf die Magnetlagerung ebenfalls relativ leicht. Angetrieben wird er wie beim Pickering-Vorgänger durch Reibrad. Einziges Bedienungselement ist vorn links auf der Grundplatte ein rechteckiger Schalter. Durch Schieben nach rechts wird der Motor gestartet und das flexibel gelagerte Reibrad gleichzeitig an Welle und Innenkranz des Plattentellers gedrückt. Der kräftige, vierpolige Synchronmotor bringt den Teller rasch auf die Nenndrehzahl von 33 ⅓ U/min.

Noch nie in natura gesehen: Plattenlaufwerk Stanton 800 B mit Tonarm Pickering Stanton „Unipoise 200“

„Besonders gefiel uns das bequem austauschbare Tonarmbrett“, schreibt im Januar 1964 die US-Zeitschrift Audio. „Natürlich tauscht nicht jeder so oft den Tonarm aus wie wir im Testlabor. Doch mancher Musikliebhaber nutzt doch gelegentlich die Möglichkeit zum einfachen Wechsel des Arms. Dazu überwindet man lediglich die Anziehungskraft des Magneten unter dem Brett, zieht es hoch und hebt es vom Chassis ab. Anschließend löst man die Kabelverbindung zum Verstärker.“

„Es ist eigentlich überflüssig zu sagen, dass die Musikwiedergabe des Stanton über jeden Zweifel erhaben ist“, fasst Audio zusammen. „Der Rumpel-Fremdspannungsabstand erreicht stolze – 43 dB, die Gleichlaufschwankungen liegen unter 0,15 %. Änderungen der Stromspannung von ± 10 % beeinflussen die Drehzahlstabilität nicht. Wem an einem langlebigen Plattenspieler mit hervorragenden technischen Daten gelegen ist, sollte sich das Modell näher anschauen.“

Ähnlich das Lob der Zeitschrift High Fidelity: „Der Umgang mit dem Spieler macht einfach Freude. Der Teller dreht lautlos, der Unipoise-Tonarm liegt trotz seiner Einpunktlagerung gut zur Hand. Das austauschbare Armbrett ist für jeden Audiophilen ein Segen, der gern neue Tonarme ausprobiert. Gleich, ob man Laufwerk oder Tonarm betrachtet – der Stanton verdient die Beachtung jedes ernsthaften Schallplattenliebhabers.“