Abrutsch in die Beliebigkeit

Nach dem Ende von Thorens in Sainte-Croix 1966 steht der verbliebene Phonohersteller der Schweiz weiter in Saft und Kraft.

Mehr noch: In der ersten Hälfte der 1970er Jahre bringt es die Lenco AG in Burgdorf nahe der Landeshauptstadt Bern – die mit drei Werken und einer Gesamtbelegschaft von bis zu 1400 Personen größer als Thorens war – zu ungeahnter Blüte.

Das 1959 errichtete und 1964 erweiterte Hauptwerk der Lenco AG in Burgdorfs Nachbarort Oberburg: Hier in der Brunnmattstraße ganz in der Nähe des Bahnhofs weht stolz die Schweizerflagge

1973, dem besten Verkaufsjahr, kann die Hamburger Vertretung Arena Akustik allein in Deutschland über 80000 Lenco-Plattenspieler absetzen – wobei 35000 Exemplare auf die HiFi-Modelle B 55, L 75, L 78 und L 85 entfallen.

Zu verdanken ist dieser Erfolg den aufwendigen Katalogen und hohen Werbeausgaben für die Komplettanlagen von Arena, wodurch die Marke Lenco im deutschsprachigen Raum einen außerordentlich hohen Bekanntheitsgrad erreicht.

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist Lenco-Arena-1024x214.jpg
Anzeige des deutschen Importeurs im Messekatalog der hifi ’68 in Düsseldorf

Schließlich gelingt es dem Hamburger Importeur sogar, im hart umkämpften Industriegeschäft mit den Plattenspielern aus der Schweiz Fuß zu fassen, das bisher Domäne der deutschen Hersteller war.

Lieferungen in alle Welt

Zu dieser Zeit produzieren bei Lenco rund 1400 Mitarbeiter Plattenspieler für über 80 Länder der Erde – in Europa unter dem Namen Lenco, in den USA als Bogen, in Großbritannien als Goldring-Lenco und in Japan als Sony.

Typischer Stand von Lenco, auf dem die Erzeugnisse aus Burgdorf Messebesuchern präsentiert werden

Doch dann ziehen erste Wolken über Lenco auf. 1974 stirbt zunächst im Sommer mit nur 69 Jahren die Seele der Firma, die Firmenchefin Marie Laeng. Aber noch ein anderes Ereignis überschattet dieses von den ökonomischen Folgen der ersten Ölkrise geprägte Jahr:

Im November berichtet die schweizerische Presse von Entlassungen bei Lenco aufgrund des Nachfragerückgangs auf verschiedenen Exportmärkten. Wenige Monate später beklagt das Management eine „konjunkturelle Talfahrt“ und den überbewerteten Schweizer Franken, der den für Lenco so wichtigen Export erschwert.

Dann reißen die schlechten Nachrichten nicht mehr ab: „1976 war gekennzeichnet durch eine weitere Verschärfung auf dem internationalen Markt und stellte unsere Firma vor große Probleme“, meldet die Hauszeitschrift.

Zu allem Unglück ereignen sich in Oberburg ein Brand in der Farbspritzerei und wenig später eine Gasexplosion, die einen Werksteil schwer beschädigt

Trotz eingeleiteter Sparmaßnahmen fehlen die finanziellen Mittel, um neue Produkte auf den Markt zu bringen. Das dreißgjährige Firmenjubiläum wird stiller gefeiert.

1978 stirbt auch Firmenchef Fritz Laeng. Ein Jahr später geht Lenco aufgrund der anhaltend negativen Entwicklung in Konkurs. Rund 300 in den Werken Oberburg und Steg noch beschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz.

Für die Abwicklung der Werke sowie den Service an den Plattenspielern sorgen danach mehrere Nachfolgegesellschaften, zunächst die Lenco Audio AG. Dann erwirbt die bisherige Generalvertretung von Arena für den Südwesten Deutschlands, die Horst Neugebauer KG im südbadischen Lahr, den immer noch zugkräftigen Firmennamen.

Anzeige der Arena-Generalvertretung Horst Neugebauer KG

„Das italienische Werk Osimo mit mehreren hundert Beschäftigten wurde nach dem Konkurs der Lenco AG als eigenständiges Unternehmen weitergeführt“, erklärte mir Rudolf Laeng bei einem Besuch in Burgdorf am Familienstammsitz Friedegg. „Osimo bestand dank Aufträgen von Blaupunkt für die Produktion von Kassettengeräten noch bis 1986.“ Nach verschiedenen Rettungsversuchen gingen aber auch dort die Lichter aus.

Bei meinem Gespräch 2008 mit Laeng, der im März 2018 gestorben ist, war ihm der Schmerz über den Verlust des Familienunternehmens noch anzumerken. Aus Kummer über das Ende von Lenco hat der Ingenieur bedauerlicherweise fast alle in seinem Besitz befindlichen Firmenunterlagen vernichtet.

Rudolf Laeng war bei Lenco für Entwicklung und Konstruktion zuständig

Was mich überrascht hat: Das Burgdorfer Fachgeschäft Radio Laeng – Keimzelle des Unternehmens – hat nach dem Ende von Lenco weiter bestanden, da der Laden als unabhängige Firma geführt wurde. Davon zeugt die Kopie eines Schreibens vom 17. September 1985 aus meinem Archiv, unterzeichnet von Geschäftsführer Rudolf Laeng.

Bruder Fritz Laeng junior fungierte als Exportleiter und Personalchef bei Lenco

Heute nutzt die niederländische Lenco Benelux B.V. – die auf ihrer Homepage der Generation Smartphone die Funktionsweise eines Plattenspielers erklären muss – den Namen Lenco für ihre Massenware der Unterhaltungselektronik.

Lenco LS-55WA mit Bluetooth, USB, MP3 und Lautsprecher – Preis im Webshop 149 Euro

Mit den ehemaligen Qualitätserzeugnissen aus der Schweiz – da waren Laeng und ich uns einig – haben diese Plattenspieler mit USB-Anschluss und andere Produkte nichts mehr gemein.

Für den aufmerksamen Beobachter kam das Ende der einst so stolzen und fortschrittlichen Lenco AG nicht völlig überraschend. Wer die letzten Kataloge studiert, gewinnt den Eindruck endloser Produktvariationen und kosmetischer Veränderungen, mit denen das Unternehmen Rezepte gegen die fernöstliche Herausforderung suchte.

Mit Plattenspielern im Japan-Verschnitt, austauschbaren Kassettengeräten, zugekauften Verstärkern, Tunern und Lautsprechern rutschten die Burgdorfer in die Beliebigkeit ab und scheiterten schließlich im gewiss auch harten Wettbewerb.

Überschaubares Schrifttum

Im Jahr 2004 schrieb der Abiturient Florian Heininger nach zwei Informationsgesprächen mit Rudolf Laeng eine „Maturarbeit“ mit dem Titel „Die Lenco AG – ein Kapitel aus der Geschichte des Plattenspielers“.

Maturarbeit von Abiturient Florian Heininger am Deutschen Gymnasium in Biel

Die Durchsicht der Arbeit ist allerdings ernüchternd: Der 23seitige Text hat erhebliche Längen, im Hauptteil fehlen wichtige Informationen.

Zwei Drittel des Manuskripts haben mit Lenco nichts zu tun, umfassen Biographien von Thomas Alva Edison und Emil Berliner sowie eine allgemeine Geschichte des Plattenspielers. Diese Informationen findet man auch woanders. Dazu passt, dass auf der Titelseite kein Plattenspieler von Lenco, sondern irgendein altes Trichtergrammophon abgebildet ist.

Im Lenco-Abschnitt schildert der Autor zwar den Aufstieg von Lenco von einem kleinen regionalen Unternehmen zu einer international erfolgreichen Firma – und erwähnt auch den Konkurrenten „Torrens“ und den späteren Inhaber der Namensrechte „Nussgebauer“. Doch zu den in 30 Jahren hergestellten Plattenspielern der Firma kein Wort – auf dem Feld war Heininger offenbar überfordert.

So entsteht trotz des interessanten Themas der Eindruck einer schülerhaften Unbeholfenheit. Möglicherweise hatte der junge Mann zum Zeitpunkt des Abfassens seiner Maturarbeit noch nie einen Plattenspieler bedient …

Auch für mich war es nicht einfach, das Material für das 28 Seiten umfassende Lenco-Kapitel in meinem Werk SCHWEIZER PRÄZISION zusammenzutragen. Informationen des Burgdorfer Touristenbüros über das einst so bekannte Unternehmen der Emmestadt? Im Großen und Ganzen Fehlanzeige!

Umso dankbarer bin ich Rudolf Laeng – zu dem ich letztlich doch noch Kontakt über die örtliche Touristeninformation fand – für das Ausleihen seiner kompletten Sammlung der Lenco-Hauszeitschrift. Sie war mir bei der Buchproduktion eine unschätzbare Hilfe.

Ein komplettes gebundenes Buch über die gesamte Lenco AG existiert bis heute nicht. Jedoch hat in Italien mit Massimo Morroni ein ehemaliger Mitarbeiter die Geschichte des Werkes Osimo aufgeschrieben – natürlich auf Italienisch.

Chronik des Werkes Osimo von Massimo Morroni zum leider nicht mehr begangenen 50. Firmenjubiläum von Lenco

Das Buch „Lenco – Una Storia Osimana“ ist 1996 erschienen. Es dokumentiert, dass es bei Lenco in Italien eine lebhafte Betriebskultur gab – mit besonderen Festen, gemeinsamen Fußballspielen und Firmenausflügen.

Weißt Du noch … ?

Was bleibt sind die Erinnerungen der Beteiligten an dieses einzigartige Stück Industriegeschichte.

Vor einiger Zeit habe ich von der Existenz eines jährlichen Treffens ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Burgdorf erfahren – über das übrigens die Stadtverwaltung – passend zum Informationsstand des Touristenbüros – nicht informiert war.

Das Schützenhaus Burgdorf ist jährlicher Treffpunkt der ehemaligen Lenco-Beschäftigten

Die Zusammenkünfte begannen im kleinen Kreis bereits 1986. Dann wurde 1999 – 20 Jahre nach Schließung der Lenco – das erste große Treffen veranstaltet. Mehr als 100 „Ehemalige“ aus der Schweiz und aus Italien sagten ihre Teilnahme zu.

Formell das Begrüßungsschild am Eingang des Schützenhauses in Burgdorf

Auch bei der früheren Lenco Italiana kommen noch regelmäßig Beschäftigte des Werkes zusammen und tauschen ihre Erinnerungen an die „alten Zeiten“ aus. Das für Lenco typische Familiengefühl fand in Osimo guten Boden.

Die Treffen in Burgdorf werden sehr professionell von dem früheren Lenco-Mitarbeiter Walter Hofer organisiert

Am Treffen des Jahres 2019, zu dem ich mit meiner Frau nach Burgdorf kam, nahmen 55 ehemalige Lenco-Beschäftigte teil. Eine beachtliche Zahl, darunter viele Frauen, die teilweise sogar aus Italien angereist waren.

Versammlungsraum im Schützenhaus Burgdorf – der sich nach dem Foto zügig füllte

Schon beim Eintreffen der „Lencistinnen“ und Lencisten“ ist ihre gewachsene Vertrautheit und der enorme Zusammenhalt zu spüren. Man duzt sich und begrüßt sich warm, Scherze heitern die Stimmung auf.

Nach dem großen Hallo beim Apéro nehmen die Versammelten im Saal das schon bei der Anmeldung zu wählende Mittagessen ein. In der gesundheitsbewussten Schweiz darf natürlich neben dem Normalgericht ein „Vegi-Menu“ nicht fehlen.

Dieses originelle Tischset mit den Namen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Lenco-Treffen 2017 hatte Veranstalter Walter Hofer vor jeden Essplatz gelegt

Nach dem Essen beginnt der gemütliche Teil. Bald schwelgen die Pensionärinnen und Pensionäre in Erinnerungen – die Gespräche über den früheren Arbeitsplatz und viele nette Begebenheiten bei Lenco schwirren nur so hin und her.

Alben mit Bildern von Betriebsfeiern in den 1960er und 1970er Jahren werden herumgreicht. Das waren die großen Zeiten! Ganz offensichtlich brachen die Menschen auf den Fotos in eine große Zukunft auf – in der es zum Leben Freude, Mut und den richtigen Plattenspieler brauchte. Und sie arbeiteten in einem Unternehmen, das mit Herz und Verstand geführt wurde.

Zum Abschied gab es dann das obligatorische Gruppenfoto vom Lenco-Treffen 2019 im Schützenhaus Burgdorf

Für mich war die Bilanz des Lenco-Treffens allerdings ernüchternd: Mein ausliegendes Großwerk SCHWEIZER PRÄZISION, meine langjährigen Nachforschungen zu Lenco und das Ergebnis eines Gesprächs mit Rudolf Laeng auf dem Familienstammsitz Friedegg haben auf dem Treffen kaum jemanden interessiert.

Die Anwesenden blieben unter sich, die Gespräche kreisten vornehmlich um Erinnerungen am Arbeitsplatz und unter Kollegen. Weder ging es um die Plattenspieler noch um die interessante Firmengeschichte.

Lediglich fünf, sechs Gäste machten sich die Mühe, mal aufzustehen und das Lenco-Kapitel an unserem Tisch wenigstens durchzublättern. Für mich unverständlich – schließlich haben die Ruheständler teilweise mehrere Jahrzehnte ihres Arbeitslebens bei Lenco verbracht. Da sollte schon Interesse an solch einer Publikation vorhanden sein.

Lenco L 88, ein reines Laufwerk – hier mit Ortofon-Tonarm SMG 212 – das von 1962 bis 1965 nur in Großbritannien gebaut wurde

Letztlich war ich froh, nicht auch noch meinen Goldring-Lenco GL 88 als interessantes Anschauungsobjekt mitgebracht zu haben – der wohl den meisten Versammelten unbekannt sein dürfte. Dies konnte ich mir sparen.

Gruppenbild mit zwei ehemaligen Lenco-Mitarbeiterinnen. Hintere Reihe von links: meine Frau Angelika, Helmuth Wöpkemeier (Rundfunk- und Fernsehtechniker-Meister – einer der profundesten deutschen Lenco-Kenner) und ich

So wird es für mich bei einer einmaligen weiten Anreise aus Deutschland zu der eigentlich viel versprechenden Zusammenkunft in der Schweiz bleiben. Entschädigt wurden meine Frau und ich durch ein gutes Abendessen bei einem Italiener und die Übernachtung in einem wirklich tollen Burgdorfer Hotel.

Natürlich sind meine Frau und ich bei unserem Besuch in Burgdorf auch aus der Stadt hinaus nach Oberburg gefahren. Doch das ehemalige Stammwerk von Lenco in der Brunnmattstraße am Bahnhof fanden wir nicht vor.

Ein steinernes Zeugnis von Lenco gibt es nicht mehr – im Gegensatz zur ehemaligen Firmenzentrale von Dual in Sankt Georgen, in der heute ein Technologiezentrum junge Startup-Unternehmen unterstützt.

Hauptverwaltung und Shedhallen von Lenco mussten einem modernen Neubau weichen. Heute befindet sich an Ort und Stelle die Ypsomed AG, ein Anbieter von Diabetikerbedarf.