Die Leidensgeschichte bei eBay
Diesen bildschönen Plattenspieler – Marktwert etwa 600 Euro – hätte Alexander Ischner im Online Auktionshaus um ein Haar für unglaubliche 137 Euro hergeben müssen. Nur seine Versandbedingungen – Australien war als Ort ausgeschlossen und der Auktionsgewinner kam von daher – bewahrten ihn vor einem finanziellen Desaster. Die Leidensgeschichte des Acoustical hatte aber schon früher begonnen …

Ein Renner war das von 1968 bis 1974 in der Nähe von Amsterdam hergestellte Plattenspieler-Modell 3100 nie. Von dem interessanten Riementriebler hat Jobo/Acoustical in allen Versionen (2500, 2600, 2800, 3100) während der über zehnjährigen Bauzeit nur zirka 6000 Exemplare absetzen können.
Um den Verkauf vor Produktionsende noch einmal anzukurbeln, erhielt der 3100 etwa 1972 ein kleines Facelift. Diese seltenen späten Exemplare sind an der geänderten Gummiauflage mit vergrößerter Tellerblende, dem Gegengewicht in Silber sowie einem neu gestalteten Tonkopf zu erkennen.
Der attraktive 3100 wurde wahrscheinlich nicht in Deutschland verkauft. Darauf lässt die ungewöhnliche Chromblende schließen, die um die Zarge läuft. Ein Acoustical in dieser Ausführung ist mir bisher nicht wieder begegnet


Weiteres individuelles Merkmal dieses späten 3100 ist der massive Lifthebel. Die Normalausführung hat einen dünnen Hebel mit schwarzem Kugelgriff. Die Abdeckung des neuen Tonkopfs 550 passt zum Silber des Gegengewichts am All-Balance Werkstonarm
Eines Tages wurde genau dieser Spieler bei eBay auktioniert. Als ich den 3100 dort entdeckte, standen die Gebote schon bei etwa 550 Euro – was fast dem Marktwert entspricht. Um den interessanten Acoustical auf jeden Fall in meine Sammlung einreihen zu können, gab ich ein hohes Maximalgebot über 900 Euro ab.
Mit diesem Vorgehen hatte ich schon manch preiskritischen eBayer ausgestochen, der sein Gebot erst zwei Sekunden vor Auktionsschluss abgibt, um das Objekt der Begierde zu „schießen“ – so der Fachausdruck in den einschlägigen Internetforen.
Das Risiko einer Bauchlandung dabei ist relativ gering. Denn eBay berechnet am Ende nicht die eingegebene Summe, sondern nur den Betrag, der erforderlich ist, um das nächst niedrigere Gebot um einen Schritt zu übertreffen. Diesmal hatte ich bei dem Spiel allerdings großes Pech.
Der All Balance-Tonarm hat mit seinem Design für mich einen besonderen Reiz. Hier mit richtiger Liftbank – die frühere Version bietet für die Armauflage nur einen Drehknopf

Am Auktionsende war ich entsetzt, denn ich sollte genau die 900 Euro bezahlen. Dieser Preis für den Acoustical bewegte sich fern jeder Realität. Vermutlich hatte der Verkäufer einen Strohmann beauftragt, den Preis hochzutreiben – der in letzter Sekunde ein Gebot über 890 Euro abgab.
Was also machen? Da ich keine negative Bewertung riskieren wollte, ging ich zähneknirschend auf die Kaufverpflichtung ein. Als einziges Zugeständnis war der Verkäufer bereit, mir bei der Abholung des Spielers 100 Kilometer entgegenzukommen. Die Übergabe fand dann an einer Autobahn-Raststätte im Westerwald gegen jene neun grüne Geldscheine statt.
Später stellte ich fest, dass die billig gemachte Bodenwanne aus Kunststoff sich in desolatem Zustand befand. Der Verkäufer, der den Mangel in der Beschreibung nicht erwähnt hatte, war allerdings nicht bereit, über einen Preisnachlass zu verhandeln. Dummerweise hatte ich für ihn schon eine Bewertung abgegeben.
Revision bei Peter Feldmann
Viel kann beim dem einfach konstruierten Acoustical nicht kaputt gehen. Allerdings ist die Aufhängung des Papst-Motors mit Gummipuffern nach 40 Jahren praktisch immer verschlissen und muss ersetzt werden. Unrestaurierte Laufwerke machen sich durch hörbares Motorsummen des ansonsten rumpelfreien Laufwerks bemerkbar.
Diese wichtige Arbeit führte dann Peter Feldmann aus. Weiter versah der Techniker die Konsole mit einem stabilen Unterbau samt neuen Gummifüßen.

Für den 3100 war von Acoustical eine wabbelige Plexihaube als Zubehör lieferbar. Mein Exemplar kam ohne Staubschutz und wurde von Peter Feldmann mit einer maßgefertigten Stülphaube aus hochwertigem glasklarem Acryl versehen
Insgesamt erforderte die Aufwertung des 3100 noch einmal eine Investition von gut 300 Euro. Danach erfreute mich der überteuerte Acoustical mit Tonabnehmer AT-71 von Audio Technica wegen seiner besonderen Ausführung, der großen Laufruhe und dem gutem Klang.
Allerdings kam mir der Ärger über den Verkäufer, seinen mutmaßlichen Strohmann und den überbezahlten Preis immer wieder hoch, so dass ich an dem Plattenspieler trotz seiner Seltenheit keine richtige Freude fand. Nach einigen Jahren beschloss ich, das Problem mit Abgabe des Acoustical aus der Welt zu schaffen.
Verkauf nach Georgien
Bei der Veräußerung kam ich mit einem blauen Auge davon. Denn dem eingangs erwähnten Alexander Ischner war der Acoustical immerhin die 900 Euro wert, die ich im Online-Kaufhaus für den unrestaurierten Spieler bezahlt hatte.
Mehr noch: Da der Sozial- und Heilpädagoge mit seiner einheimischen Frau in Georgien lebt, wo er Projekte mit behinderten Jugendlichen betreut, beauftragte er Peter Feldmann, den Acoustical für die weite Reise in den Südkaukasus professionell zu verpacken – was noch zusätzliche Kosten verursachte.
So weit, so schlecht. Ich war dann erstaunt, dass der Käufer – er möchte wohl seine Sammlung an Plattenspielern verkleinern – meinen früheren Acoustical wieder verkaufen will und ihn bei eBay Kleinanzeigen anbietet. Erst recht verwundert war ich, dass er trotz der teuren Vorgeschichte lediglich 400 Euro dafür verlangt.
Nach kurzem Überlegen war mir der günstige Preis – der für Ischner beim Verkauf einen Verlust von über 500 Euro bedeutet – allerdings plausibel. Denn zu den zirka 100 Euro Versandkosten aus Georgien kommt noch einmal die gleiche Summe für die Einfuhrumsatzsteuer beim deutschen Zoll – womit ein potenzieller Käufer dann ziemlich genau bei den 600 Euro landet, die der Acoustical in meinen Augen wert ist.
Trotz des attraktiven Angebots traute sich bisher niemand an den Acoustcial heran. Woran liegt’s? – Die Antwort liefert der Verkäufer in seiner Beschreibung mit: „Wer denkt, dass da etwas faul ist, sollte nicht weiterlesen. Oder er kann mich gerne jederzeit für Fragen und zum Versand des Plattenspielers kontaktieren (Telefon/WhatsApp usw.).“
Ischner weiß um die Vorbehalte gegenüber einem Plattenspielerkauf aus Georgien. Da zwei Provinzen im Norden des eurasischen Staates von russischen Streitkräften besetzt sind, wird bei uns das schöne Georgien, in dem eine aufgeschlossene, nach Westeuropa orientierte Bevölkerung lebt, mit dem kriegsführenden Russland in einen Topf geworfen. Mancher Interessent befürchtet, dass es sich um das Angebot eines Betrügers handelt.
Der „Beinahe-Schnapp“
Nachdem sich nun wochenlang bei dem Verkauf des Acoustical nichts tat, versuchte Ischner sein Glück bei eBay mit einem Auktionsangebot ab 1 Euro – und spielte mit dem Feuer. Um ein Haar wäre er dabei in einer finanziellen Katastrophe gelandet.
Sicher gibt es Beispiele eines attraktiven Thorens TD 124, der trotz des Startpreises von nur einem Euro je nach Zustand und Ausführung einen weit über den Erwartungen liegenden Verkaufserlös erbringt. Der Normalfall sieht allerdings anders aus: Einmal musste ich bei einer solchen Ein-Euro-Auktion eine hochwertige Sony-Headshell – Marktwert ungefähr 60 Euro – für erschütternde 2,50 € nach Italien abgeben.
Ein anderer Käufer verlangte von mir – um 40 Cent Porto zu sparen – die Sendung statt in meiner Postfiliale bei Hermes aufzugeben. Auf meinen Einwand, dass ich bei einem Erlös von 1 Euro für ihn nicht sechs Kilometer zum nächsten Hermes-Shop fahre, schrieb er: „Nee nee, so macht eBay keinen Spaß. Ich trete vom Kauf zurück.“
„Auch mir geht diese Geiz-ist-Geil-Mentalität auf den Nerv“, bestätigt Alexander Ischner

Am 25. Oktober hatte der Bieterwettstreit begonnen. Noch am gleichen Tag gab einer der unzähligen eBayer, die von morgens bis nachts vor dem Bildschirm sitzen und auf alles und jedes Kleinbeträge eingeben – man könnte ja mal einen „Schnapp“ machen – ein Gebot über 3 Euro ab. Ein weiterer Interessent setzte dann 28 Euro.
Vier Tage dauerte es dann, bis das Höchstgebot auf 77 Euro stiegt. Selbst am Tag des Auktionsendes wurden lediglich noch zwei Gebote abgegeben. Wobei der Gewinner die besagten 137 Euro bereits eine Stunde vor Ablauf der Auktion in die Maske eingab.
Hier wäre also noch Spielraum gewesen, sich den schönen Acoustical preisgünstig zu sichern. Aber die (unbegründeten) Ängste vor einem unseriösen Verkäufer und die Aussicht auf Zollgebühren verhinderten wohl höhere Gebote.
Der Acoustical „mit Geschichte“ ist also weiter zu haben. Vielleicht hat ein Leser dieser Webseite an dem fairen Angebot Interesse und befreit den Plattenspieler von seinem Unglücksstern – den hat er nämlich nicht verdient. Dass der Niederländer sich in Topzustand befindet und genussvolle Musikabende garantiert, kann ich als der frühere Besitzer gern bestätigen.
Hier geht’s zu dem 400-Euro-Angebot bei Kleinanzeigen:
https://www.kleinanzeigen.de/s-anzeige/acoustical-3100-jobo-plattenspieler/2566501994-172-1747
