Way Back To Rock ’n‘ Roll

Zähes Sparen auf etwas war nie mein Ding. Mein Taschengeld trug ich als Jugendlicher größtenteils zum Kiosk. Die wenigen Schallplatten, die ich zur Schulzeit besaß, waren Geschenke meiner Eltern.

1959 erhielt ich zum zehnten Geburtstag die Polydor-Single „Unter fremdem Sternen“ von Freddy. Den kleinwüchsigen Hamburger Sänger kannte ich von der „Frankfurter Schlagerbörse“ mit Hanns Verres, von der ich damals kaum eine Sendung versäumte.

Hanns Verres war ab 1957 Moderator einer der erfolgreichsten Sendungen des Hessischen Rundfunks

Musikalisch „aufgewacht“ bin ich aber erst zur Twist-Zeit Anfang der 1960er Jahre – der Ära der vielen Modetänze. Hully Gully, Slop, Watusi und viele weitere bedeuteten gedanklich nichts anderes als die Fortsetzung des Rock ’n‘ Roll mit anderen Mitteln.

Junge Dame mit Petticoat auf der Vespa: Das Motiv stammt vom Cover einer Tanz-LP der Ventures, die 1962 auf dem US-Label Dolton erschienen ist. Hier werden einige der Modetänze genannt

Letzter Schrei zur Twist-Zeit waren Arrow Poynts – unglaublich spitz zulaufende Halbschuhe

Mit Röhrenhosen, Helanca-Socken und solch waffenscheinpflichtigem Schuhwerk spazierten meine Freunde und ich über die Frankfurter Zeil. Ein Bekannter von mir besaß den Ohrwurm „Let’s Twist Again“ von Chubby Checker auf Parkway. Diese Single lief und lief bei uns – bis von der Tonschrift nicht mehr viel übrig war.

Auch Erwachsene machten beim Twist-Fieber begeistert mit – in den USA zum Beispiel in der New Yorker Peppermint Lounge

Am 25. Mai 1961 verkündete US-Präsident John F. Kennedy vor dem Kongress, bis zum Ende des Jahrzehnts werde der erste Amerikaner auf dem Mond landen – und läutete durch seine Prognose ein beispielloses Wettrennen mit der Sowjetunion ein. Seit die russische Raumsonde Sputnik 1957 mit Pieptönen einige Male die Erde umkreist hatte – im kalten Krieg für die Amerikaner ein Schock – grassierte in den USA schon das Weltraumfieber. Auch bei uns war das ein beherrschendes Thema.

Horror- und Science-Fiction-Filme mit furchterregenden Titeln wie „Der Mann mit der Maske“, „Das Mondkalb“ oder „Luna 4 antwortet nicht mehr“ ließen Kinogänger erschaudern. Auch Perry-Rhodan-Romane wie „SOS aus dem Weltall“ oder „Invasion vom Mars“ versetzten ihre Leser in Angst und Schrecken.

Um Angriffe aus dem Weltall geht es thematisch bei dieser italienischen LP – ein Sampler mit 20 Horror-Titeln der Jahre 1957 bis 1964

Auch der Rock ’n‘ Roll nahm sich die aufgewühlte Stimmung zum Thema. Damals erschienen in den USA Singles auf Kleinlabels mit passenden Titeln wie „Count Down“, „Man From Mars“ oder „Rock Old Sputnik“.

1962 schossen die USA ihren ersten Nachrichtensatelliten ins All. Die Begeisterung daüber war so groß, dass Musikproduzent Joe Meek ein gleichnamiges Instrumentalstück komponierte, das dann die Band The Tornados einspielte

Die Single „Telstar“ auf Decca musste ich natürlich haben. 1964 kauften meine Eltern mir noch den Ohrwurm „Pretty Woman“ von Roy Orbison und sogar eine Langspielplatte von Trompeter Roy Etzel. Schon als Schüler entwickelte ich einen unterschwelligen Hang zum Easy Listening. „Musik liegt in der Luft“ hieß eine Sendung, die immer ab 19 Uhr im Hessischen Rundfunk lief.

In der anschließenden Beat-Ära, in der in fast jeder Schule eine eigene Band spielte und die Musiker noch mit obligatorischem Schlips auftraten, mischte ich kräftig mit.

Während des nur drei Jahre währenden Beat-Booms schossen Bands wie Pilze aus dem Boden. Nur wenige brachten es zur eigenen Schallplatte – wie Charly and his Explorers aus der Schweiz. Für diese sehr seltene LP auf einem Billig-Label kassierte Jürg Schopper, der auch mit Schallplatten handelt, 250 Franken

Ein Schock dann die Jahre ab 1966/67: An den damaligen tiefen Einschnitt in die Musikgeschichte und auch das gesellschaftliche Bewusstein kann ich mich lebhaft erinnern. Erst hielt ich die neue Richtung nur für eine kurzlebige Mode wie Madison, die bald wieder vorbei ist. Doch spätestens nach Woodstock war mir klar, dass die alten Zeiten nicht mehr zurückkommen.

Mit dem progressiven Rock konnte ich mich nicht anfreunden. Das war dann bei mir das von Schmich zitierte „Bis dahin und nicht weiter“. Damals habe ich kaum noch Musik gehört. Meine jüngere Schwester stand auf John Mayall und Jimi Hendrix. Beim Wimmern der Fuzz-Gitarrren drehte sich mir der Magen rum. An Schallplattenkäufe war während meiner Zeit auf dem Gymnasium sowieso nicht zu denken.

Sammlungsstart mit Herb Alpert

Nach dem Abitur 1969 ließen ein Ferienjob und mein Lehrlingslohn mir erstmals Spielraum für eigene Anschaffungen – den Kauf einer Stereoanlage (natürlich alles von Dual …) und meiner ersten Langspielplatten.

Die im Frankfurter Phonohaus an der Hauptwache erhältlichen LPs von Herb Alpert mit seiner Tijuana Brass auf A&M Records hatte ich bald komplett. Auch eine ganze Reihe Longplays von Ray Conniff – da hatte mich ein Schulfreund beeinflusst – wanderten in meine noch schmale Sammlung.

Nach einigen Verirrungen mit modernem Jazz à la Dave Pike Set und gemäßigtem Rock & Pop beschloss ich, mich in die Vergangenheit einzugraben. Also nur noch das zu hören, was mir bisher gefiel und – Way Back To The 1950s – mir einige musikalische Forschungsgebiete zu erschließen.

Das war dann vorrangig der Rock ’n‘ Roll – die erste eigenständige Musik für junge Leute. Rock ’n‘ Roll brach mit allem was bisher geschah und läutete den größten kulturellen Umbruch des letzten Jahrhunderts ein. Vor 1955 gab es keine ausgeprägte Jugendkultur wie heute – den Jugendlichen blieb nur übrig, die Musik der Erwachsenen zu hören.

Heute wird alles und jedes Wilde und Laute als „Rock ’n‘ Roll“, werden ältere Musiktitel generell als „Oldies“ bezeichnet. Meine Freunde beim Münchener Stack-A-Records Club und ich schütteln da den Kopf. Früher standen diese Begriffe ausschließlich für die populäre Musik der fünfziger und frühen sechziger Jahre. Rock ’n‘ Roll und (Hard-)Rock sind völlig verschiedene Begriffe – die Rolling Stones zum Beispiel haben nie Rock ’n‘ Roll gemacht.

Treffen im Münchener Stack-A-Records-Club – damals noch mit der obligatorischen Zigarette: Der Vereinsname rührt von den Singles her, die früher im Stapel ohne Hüllen aufbewahrt wurden. Von links: Dr. Michael Gschließer, Georg Kostya (Moderator der BR-Sendung „Aus meiner Rocktasche“), Peter Nurtsch (Wirt eines Bierstüberls mit Rock ’n‘ Roll-Musik), Henry Schindel (Inhaber des Münchener Oldies Shop in der Gabelsbergerstraße) sowie der Großsammler Wolfram Ebell mit Partnerin Ursula Rüdell

Vom Rock ’n‘ Roll, der „vor meiner Zeit“ lag, hatte ich allerdings kaum eine Ahnung. Lange noch wähnte ich „Dizzy Miss Lizzy“ von den Beatles als deren Original. Dass diese Aufnahme nur eine Coverversion des Originaltitels von Larry Williams aus den Fünfzigern war, erfuhr ich viel später.

Die Ära des progressiven Rock war für meine neue Sammelleidenschaft allerdings die denkbar ungünstigste Zeit. Damals gab kaum jemand noch einen Pfifferling auf Rock ’n‘ Roll. Der galt zur Zeit der langen Haare, Madonnenscheitel und psychedelischen Plattencover nur noch als etwas für Primitivlinge.

Dem entsprechend wollten die Plattenfirmen auf den Covern der wenigen Wiederveröffentlichungen nicht mehr die Originalinterpreten in ausrasierten Schmalzfrisuren zeigen, sondern wählten völlig fremde Motive, in Anklang an Sex oder Gewalt.

Diese Motorradbraut mit düsterem Blick und drohend gespannter Kette sollte Rocker zum Kauf des Reissue einer Langspielplatte des englischen Gitarristen Bert Weedon (1961) verleiten

Hier musste eine junge Dame im Minrock das Alter der Aufnahmen von Johnny & The Hurricanes kaschieren. Dies ist ein Reissue ihrer ersten Langspielplatte aus dem Jahre 1960

Die wenigen Liebhaber, die mit Gruppen wie Deep Purple, Led Zeppelin oder Pink Floyd nichts anfangen konnten und ihrem Stil treu geblieben waren, blieben damals bei Plattenkäufen auf das schmale „Oldies“-Fach ihres lokalen Plattenladens angewiesen. Da musste man sich als Sammler bei jedem Neuzugang eine Träne wegwischen – selbst wenn es die x-te Neuauflage von Bill Haley oder Elvis Presley war.

Bill Haley mit Schmalzlocke und grob kariertem Sakko: Meine erste Rock ’n‘ Roll-LP kaufte ich in Frankfurt bei Radio Diehl

Wobei man sich in den 68er Jahren mit dem Kauf solcher Platten dem Verdacht aussetzte, nicht ganz normal zu sein. Ich ließ mir selbstquälerisch die Haare über die Ohren wachsen und hatte wie meine Altersgenossen eine richtige Matte. Männer mit korrektem „Faconschnitt“ gab’s damals nur noch bei der Jungen Union, unter Burschenschaftlern und beim Ring Christlich-Demokratischer Studenten.

Original-LPs von Helmut Marcuse

Was ich bisher an Rock ’n‘ Roll-Platten gekauft hatte, waren allesamt Wiederveröffenlichungen. Dann aber bekam mein Plattensammeln eine neue Qualität:

Ein Mitlehrling in meinem Frankfurter Ausbildungsbetrieb, der von meinen musikalischen Vorlieben wusste, machte mich auf das Importplattengeschäft von Helmut Marcuse in der Kirchnerstraße aufmerksam – dort, wo heute der Commerzbank-Tower steht. Das war für mich das Eldorado: Denn in dem Laden mit einer sehr fachkundigen Verkäuferin waren noch viele US-LPs aus der gerade zehn Jahre zurückliegenden Rock ‚n‘ Roll-Zeit zu regulären Preisen zu haben. Dort fand ich Scheiben von Interpreten, die mir bis dato völlig unbekannt waren.

Helmut Marcuse fuhr einen ungewöhnlichen amerikanischen Lieferwagen, einen Chevrolet. Innen an den Seitenwänden jeweils drei Regale Schallplatten, die mit Metallstreben vor dem Herausfallen gesichert waren. Der Wagen besaß eine Standheizung und einen kleinen Kühlschrank, in dem Marcuse seinen geliebten Whisky aufbewahrte. Derart ausgestattet tingelte der Importeur mit seiner Fracht durch Deutschland und versorgte die Plattenläden mit Ware, die er bevorzugt in Amerika und in Frankreich organisierte: „Wenn Herr Marcuse sich ankündigte, waren Überstunden angesagt“, erinnert sich einer der Händler. „Wir krochen stundenlang, teilweise auf Knien, durch seinen Chevi, nahmen eine Platte nach der anderen aus dem Regal. Schließlich schleppten wir die erbeuteten LPs wie einen wertvollen Schatz in den Laden.“

1974 besserte sich die Versorgungslage bei Rock ’n‘ Roll-Reissues schlagartig, als in Großbritannien eine dreiteilige Serie „SUN Rockabillys“ mit mir größtenteils unbekannten Aufnahmen erschien.

Der erste von drei englischen Rockabilly-Samplern mit 16 bei SUN Records von Sam C. Philips produzierten Aufnahmen

Rechte-Inhaber Shelby Singleton hatte in den USA die legendären Aufnahmen des SUN-Labels, auf dem Elvis Presley seine ersten Sporen verdiente, schon 1969 zur Wiederveröffentlichung freigegeben. Doch bis dato waren bei Phonogram nur Interpreten-LPs von Johnny Cash, Jerry Lee Lewis, Carl Perkins und anderen erschienen.

Mit den SUN Rockabillys waren nun auch Aufnahmen von Interpreten erhältlich, die es nie zu einer eigenen Langspielplatte gebracht hatten. „Fantastisch – das Schnäppchen des Jahres“, begeisterte sich ein englischer Rezensent über die Meilensteine.

In Deutschland veröffentlichte Bellaphon die Rockabilly -Serie, unterschlug bei den Billig-LPs aber einige der Tracks. Als die deutschen Fans dies bemerkten, setzte ein Run auf die englischen Originale ein, weshalb sie bald ausverkauft waren.

Damals existierten in Großbritannien, Frankreich, den Benelux-Ländern und Skandinavien schon seit einigen Jahren Geheimzirkel einiger Spezialisten, die sich hierzulande völlig unbekannte Rockabilly- und Rock ’n‘ Roll-Singles aus den USA besorgten – und bald zum Austausch untereinander von ihren Schätzen LP-Sampler in Kleinauflage pressen ließen.

Ein Bespiel solcher Sampler ist der nachfolgende, den 1970 ein Rock ’n‘ Roll-Club in der französischen Hafenstadt Brest herstellen ließ.

Diese Raubpressung wurde in weniger als 300, wahrscheinlich nur 100 Exemplaren produziert

Lange Zeit war es für normale Plattenkäufer wie mich unmöglich, an diese Raubpressungen heranzukommen. Die hatten für mich die gleiche Strahlkraft wie für den im Schmich-Buch vorgestellten Stones-Sammler Felix Aeppli.

Dann aber wurde ich in München, wo ich auf dem Rückweg von einem Skiurlaub Station machte, dank der Routinekontrolle eines Plattengeschäfts fündig. Bei der Firma »Internationale Schallplatten Robert Hens GmbH« in der Einkaufspassage unter dem Stachus stieß ich endlich auf die holländischen Bootlegs, von denen in der Sammlerszene so viel gemunkelt wurde.

Die Plattenbranche in den USA hatte mit tausenden von Klein- und Kleinstfirmen eine völlig andere Struktur als die in Europa. Auf solchen Labels erschienen Rockabilly- und Rock ’n‘ Roll-Singles, die der Niederländer Cees Klop auf Collector Records wiederveröffentlichte und damit der hiesigen Sammlerszene näherbrachte

Auf Collector folgten in Westeuropa eine ganze Reihe von Labels mit inoffiziellen Reissues wie Redita, Eagle oder Bison Bop – wobei man den Produzenten dieser Serien zugute halten muss, das sich die Rechte an den Aufnahmen häufig nicht mehr klären ließen.

Deutsch gesungener Rock ’n‘ Roll war unter international orientierten Sammlern lange Zeit verpönt. Das änderte sich 1976, als ein Bootlegger die Raubpressung „Teddy“ mit den 20 besten Aufnahmen vom Ted Herold herausbrachte. Auch ich musste damals meine Meinung revidieren. Vorher nie gehörte Feger wie „Dixieland Rock“, „Hey Baby“ oder der Macho-Song „Ich bin ein Mann“ – der zeitweise auf dem Index stand – rissen einen förmlich von Hocker.

Gemanagt wurde Herold von seiner Mutter, die sich aus den Tantiemen einen Opel Kapitän genehmigte. Der Sohn, noch nicht volljährig, fuhr nur einen Opel Rekord

Nach Schlagerkarriere und Bundeswehrzeit absolvierte Ted Herold eine bürgerliche Ausbildung als Rundfunk- und Fernsehtechniker.

Mein Sammlerkollege Wolfgang Kretzer traf Ted Herold (rechts) 1976 in der Gaststätte seiner Schwiegereltern

Wenige Monate nach diesem Foto wurde der deutsche Elvis von Udo Lindenberg wiederentdeckt. Der Hamburger mit Stöhnstimme und Schlapphut bot ihm an, bei einem Titel für die LP „Panische Nächte“ mitzuwirken und ihn auf einer Deutschlandtournee zu begleiten. Das war der Startschuss für Herolds zweite Karriere in den 1980er und 1990er Jahren – mit neuen Schallplattenaufnahmen und zahlreichen Auftritten auf Konzerten und in Fernsehshows.

Reissues unglaublicher Qualität

Gegen Ende der 1970er und in der ersten Hälfte der 1980er Jahre erschien in Sachen Rockabilly, Rock ’n‘ Roll, Blues sowie Rhythm & Blues in Großbritannien und den USA eine Fülle hochqualitativer Wiederveröffentlichungen. Allesamt in „Straight Mono“, während man sich vor 1975 bei Reissues immer wieder mit nachträglich elektronisch stereophonisierten Aufnahmen herumplagen musste.

Damals durchmachte ich mit der Lektüre der Liner Notes von Koriphäen wie Stuart Coleman, Adam Komorowski oder Bill Millar einen einzigen Lernprozess. Immer tiefer grub ich mich in die Anfänge der Rockmusik ein, die ich selbst nicht miterlebt hatte.

Eine internationale Autorität in Sachen populärer amerikanischer Musik von 1945 bis 1965 war Ray Topping. Der Brite erarbeitete für Musikmagazine viele Diskografien und schrieb tiefgründige Begleittexte zu unzähligen Reissues, speziell schwarzer Interpreten. Für das Londoner Speziallabel Ace Records grub er tausende von raren, unveröffentlichten Master-Aufnahmen aus.

Viel zu früh gestorben: Musikexperte Ray Topping wurde nur 65 Jahre alt

Anfang der 1980er Jahre, in der Hochphase der Neuen Deutschen Welle, kam es auf meinem Sammelgebiet zu einem kleinen Comeback zweier längst tot geglaubter Musikrichtungen:

Zum einen dem Revival des Instrumentalrock, der mit Gruppen wie Shadows, Spotnicks sowie zahlreichen Formationen aus den Benelux-Ländern und aus Skandinavien in den frühen Sechzigern seinen Höhepunkt erlebte und mit dem Aufkommen der Beatmusik wieder in der Versenkung verschwand.

„1961“ – der Name ist Programm: Die schwedische Gruppe spielte Titel der Shadows perfekt nach – ja eigentlich noch besser als die britischen Originale. Die vier Mitglieder unter Leadgitarrist Ronnie Gustafsson wählten das beste Jahr des Instrumentalrock als ihren Bandnamen

Diese LP war der Startschuss zu vielen weiteren Neuaufnahmen mit verhallter Gitarrenmusik. Damals kam es in Westeuropa zur Gründung zahlreicher Instrumentalbands, die ihre Aufnahmen als CD – zum Beispiel auf dem holländischen Label Rarity – veröffentlichten.

Das zweite Comeback betraf die kalifornische Surfmusik, die ihren Höhepunkt 1963 erreichte und wie der Instrumentalrock von der British Invasion begraben wurde.

Viele Rockfans bringen Surfmusik nur mit Vokalnummern der Beach Boys oder Jan & Dean in Verbindung. Der größte Teil dieser Aufnahmen waren aber Instrumentalkracher auf Kleinlabels mit dramatischen Titeln wie „Storm Dancer“, „Tsunami“ oder „Suicide Point“. Diese LP von Jim Waller and the Deltas auf dem winzigen Label Arvee wurde von einem Plattenhändler in Santa Barbara auktioniert – Mindestgebot 500 Dollar

Auch bei Neo-Surf kam es zu vielen Bandgründungen – sogar in Deutschland. Die ersten Gruppen, die sich Anfang der 1980er Jahre dieser längst vergessen geglaubten Musikrichtung annahmen, waren in den USA Jon & The Nightriders und die Surfraiders.

Käufe bei internationalen Händlern

Eine weitere Qualitätssteigerung erfuhr meine Plattensammlung, als ich originale US-LPs mit Deep Groove bei Stanley Baumruk, einem kalifornischen Lieferanten, zu kaufen begann. Die Neuzugänge merkte man am zunehmend muffigen Geruch in meinem Plattenstudio – von dem Karton der bis zu 60 Jahre alten Hüllen. Meine Frau meinte, bei mir herrsche eine Luft wie in einem Buchantiquariat.

Solche transatlantischen Bestellungen gingen richtig ins Geld, auch wegen der hohen Portokosten. Die Erfahrung von Peter Bastine – dem Sammler von Bildschallplatten -, dass diese Aktivitäten damals viel Arbeit bedeuteten und „ganz kompliziert“ waren, kann ich nur bestätigen. Vor allem, was die Bezahlung mit teuren Bankschecks angeht – die Zahlung per PayPal gab es damals noch nicht.

Wenn der im Buch von Jürgen Schmich vorgestellte Hans-Jürgen Finger bei 100 Euro für zwei LPs und zwei Dopplealben mit Schlagern von einem „stattlichen Preis“ spricht, könnern engagierte Sammler von Rockmusik über eine solche Summe nur lächeln.

Dabei braucht man noch nicht einmal die legendäre Beatles-LP mit dem „Butcher Cover“ zu bemühen. Auch seltene Rhythm & Blues-LPs, die Anfang der 1950er Jahre noch im Ten-Inch-Format erschienen, können sich unter zahlungskräftigen US-Sammlern in ähnlichen Preisregionen bewegen.

Klassik-Schallplatten erzielen dagegen – selbst wenn sie gesucht sind – selten dreistellige Sammlerpreise. Unter den Liebhabern „ernster Musik“ gibt es offenbar kaum Verrückte und Plattensüchtige wie bei Rock und Pop.

Im Lauf dieser US-Aktivitäten und dem Studium einschlägiger Preiskataloge lernte ich viel über die Feinheiten des Sammelgeschäfts kennen – über die Unterschiede zwischen Erst-, Zweit- und späteren Nachpressungen. Oder über LPs mit Covern, die schon kurz nach Erscheinen geändert wurden und den ursprünglichen Versionen besonderen Sammlerwert verleihen.

Ein Beispiel dafür ist die nachfolgende im Jahre 1957 erschienene Capitol-LP der Rhythm & Blues-Gruppe The Five Keys.

„Thumb Cover“ der Five Keys: Nach Veröffentlichung der LP bemerkten die Verantwortlichen bei Capitol, dass beim linken Sänger ein gerade noch zu sehendes Glied der rechten Hand als Penis missdeutet werden kann, der aus der Hose hängt. Im prüden Amerika der 1950er Jahre ging das gar nicht

„Airbrush Cover“ der gleichen LP mit dem wegretuschierten Stein des Anstoßes. Diese viel häufiger auftauchende Zweitpressung ist nur ein Drittel des Longplayers mit „Thumb Cover“ wert

Ein Plattenfreund von mir, Henrik Tenenbaum, war ebenfalls Stammkunde bei Stanley Baumruk. Der Surf- und Doo Wop-Liebhaber betrieb mit seinem Vater in Offenbach ein gut gehendes Imbisslokal. Mit den sprudelnden Einkünften aus dem Bratwurst- und Pommes-Geschäft gab Tenenbaum in den USA zu seinen besten Zeiten monatlich 3000 DM für Schallplatten aus.

Unter Tenenbaums Einkäufen war auch die extrem seltene und teure amerikanische LP von Johnny Burnette und seinem Rock ’n‘ Roll Trio. In der Goldgräberstimmung der Wendezeit verspekulierter sich der Sammler, dessen familiäre Wurzeln in Polen liegen, mit Geschäften in Osteuropa und brauchte dringend Geld.

Seine Plattensammlung musste der Offenbacher damals größtenteils verkaufen. Die Coral-LP luchste ihm ein Sammler aus Niederbayern für bescheidene 300 Euro ab. Tenenbaum sah sich gezwungen, Hartz IV zu beantragen und starb völlig verarmt in einer vom Amt bezahlten Wohnung.

6000 Meilen durch die USA

Ein weitere Bezugsquelle für US-LPs in meiner Sammlung war Craig Moerer, der seinen Handel mit dem schwarzen Gold bereits 1974 begann. Damals beschloss der 18jährige, aus seinem Faible für Blues-Schallplatten ein Geschäft zu machen. Mit 1000 Dollar Startkapital bereiste er mit seinem jüngeren Bruder Keith halb Amerika.

Große, interessante Plattensammlungen kauft Craig Moerer auch in Europa an

Während des sechswöchigen Trips spulten Craig und sein Bruder 6000 Meilen ab, tauchten in unzählige staubige Lagerhäuser ein und hoben die Vinyl-Funde auf die Ladefläche ihres 65er Ford Pickups. Nach diesem bescheidenen Anfang folgten in den nächsten Jahrzehnten noch hunderte solcher Einkaufsreisen.

Logo von Moerers Plattenversand Records by Mail ist eine Schallplatte mit Flügeln

Viele Plattenhändler bei uns sind kleine Existenzen, die ihre Kartons mit Drei-Euro-LPs von Börse zu Börse schleppen und kaum die Standgebühren erwirtschaften. Nicht so Craig Moerer, der zu den weltweit größten Händlern gebrauchter Singles, EPs und LPs zahlreicher Stilrichtungen mit Ausnahme von Klassik sowie 78ern zählt.

In seinem fast 3000 Quadratmeter großen Lagerhaus in Portland stehen mehr als zwei Millionen Schallplatten. Rund ein Dutzend Mitarbeiter von Records By Mail arbeiten für Schallplattensammler in mehr als 70 Ländern der Erde.

„Please hold the line …“

„John Tefteller’s World’s Rarest Records“ nennt sich ein weiterer amerikanischer Versandhändler im Bundesstaat Oregon, und die Ansage ist nicht übetrieben. Tefteller hat sich auf Schallplatten mit Vor- und Nachkriegsblues spezialisiert und gilt bei 78er Schellacks auf seinem Fachgebiet als Autorität. Was selten ist: Der Händler sammelt auch selbst.

Seine Angebote von Blues, Rhythm & Blues, Rockabilly, Rock ’n‘ Roll, Surf sowie Girl Groups zählen zu den rarsten und teuersten weltweit. Und ich kenne keinen Anbieter, der den Zustand seiner Schätze strenger bewertet.

Tefteller garantiert die Erhaltung seiner Schallplatten. Nicht zufriedenen Käufern nimmt er die Ware ohne Wenn und Aber zurück. Erstattet wird nicht nur den Kaufpreis, sondern auch die Kosten der Rücksendung – die nach den USA leicht 50 Euro erreichen können.

Den Versand der zerbrechlichen Schellacks übernimmt seine Mitarbeiterin Augusta, die die ersteigerten Schallplatten mit unglaublicher Sorgfalt verpackt. Auch besondere Kundenwünsche bezüglich der Zolldeklaration erfüllt sie gern.

John Tefteller – hier in seinem Lager mit 78er Schellacks – weiß die Begehrlichkeiten der Kunden mit markigen Sprüchen zu wecken

Der Premiumhändler verkauft seine Schätze ausschließlich auf Auktionsbasis – jedoch auf andere Art als Plattensammler dies von eBay gewohnt sind. Während das Online-Auktionshaus von einem großzügigen Gebot nur den Betrag nimmt, der zum Überbieten des zweithöchsten Gebots gerade notwendig ist, hält Tefteller den Höchstbieter darüber im Unklaren – und kassiert die volle Gebotssumme.

Wem das nicht gefällt, teilt Tefteller telefonisch das aktuelle Höchstgebot mit – dem man natürlich Glauben schenken muss. Um das Gebot zu übertreffen, muss der Interessent dann allerdings mindestens zehn Prozent mehr bieten. Das kann bei entsprechender Bezugsgröße schnell einen Hunderter oder noch mehr bedeuten.

1964 erfuhr der Surf seine kurzlebige Fortsetzung in der Hot Rod-Musik, bei der es thematisch um heißgemachte Amischlitten geht. Diese Privatpressung von Jim Head and his Del Rays wurde lediglich auf den Zuschauertribünen von Autorennen verkauft. Einer der rarsten Hot Rod-LPs – Highlight meiner Einkäufe bei Tefteller. Von der Platte wurden nur 500 Stück hergestellt

Spezialität von Tefteller kurz vor dem Ende einer Auktion sind seine Call Backs: „Wenn Sie konkurrierenden Bietern den Krieg erklären wollen, müssen Sie mir das vor Auktionsende unter Angabe Ihrer Telefonnummer mitteilen“, schreibt er in seinen Geschäftsbedingungen. „Ich werde Sie dann so lange kontaktieren, bis Sie entweder die Schlacht gewonnen haben oder aus dem Ring geflogen sind.“

Nach Abgabe eines Gebots fordert Tefteller den Bieter auf am Apparat zu bleiben, während er in der halben Welt herumtelefoniert und nach einer höheren Summe fragt, sich damit zurückmeldet, ein weiteres Gebot entgegennimmt, erneut telefoniert und nach diesem Verfahren den Preis einer Schallplatte höher und höher schaukelt.

Ein Beispiel von Teftellers „Monster-Raritäten“: Für diese erfolgreich versteigerte 45er Single nahm der Händler Gebote ab 4000 Dollar entgegen

Am Ende balgen sich ein Großgrundbesitzer aus Argentinien, der Inhaber einer Hotelkette in Spanien und ein thailändischer Privatier mit Millionenvermögen um solch eine Single oder um eine kratzige Schelllack. Bei besonders begehrten Angeboten kann sich der Kampf um die Schallplatten am Telefon fast ins Unermessliche steigern.

Wobei man in Deutschland bei Teftellers Spiel Frühaufsteher sein muss. Da seine Auktionen an der Pazifikküste stets abends um sieben enden, bedeutete das hier einen Anruf morgens um sechs.

Nur zweimal habe ich da mitgemacht – nicht in der vierstelligen Preisregion -, dann hatte ich von Teftellers Praktiken genug. Obwohl ich von ihm seit bald 20 Jahren nichts mehr ersteigert habe, erhalte ich seine sorgfältig produzierten Listen – die nicht nur hochrangige Schallplatten, sondern auch für Sammler stets interessante Informationen enthalten – immer noch.

Mein Mekka in Antwerpen

In den nuller Jahren konnte ich meinen Plattenbestand noch um eine ganze Reihe von Original-LPs erweitern und die bisherigen Reissues aus der Sammlung schmeißen. Dazu besuchte ich mehrmals einen Laden in Belgien mit einem sagenhaften Angebot.

Eine wahre Fundgrube für Rock ’n‘ Roll-Sammler war das Spezialgeschäft in Kruibeke. Inhaber Marcel Meersman besorgte für seine Kunden amerikanische Original-LPs vorwiegend auf den großen Plattenauktionen in Austin/Texas

Morgens um fünf ging’s auf leisen Sohlen los – meine Frau, der ich irgendwas von einem Besuch bei einem Freund erzählte – sollte von dem kostspieligen Ausflug nichts mitbekommen. Frühstück um acht am Grenzübergang Aachen, um dann pünktlich um zehn in der Nähe von Antwerpen vor dem Geschäft zu stehen.

In diesem unscheinbaren Reihenhaus befand sich der Laden „Keep on Rockin“. Nur die runde Leuchtreklame über den Eingang verriet, dass hier mit Schallplatten gehandelt wurde

Bis abends um sechs durchkämmte ich dann jeweils die Ständer und Regale – und zählte am Ende für den zusammengesuchten Plattenstapel trotz Mengenrabatt eine ganze Reihe großer Geldscheine auf. Als Dankeschön für einen besonders umfangreichen Kauf lud mich der Händler vor der Heimfahrt sogar zu einem Fischessen mit seiner Frau in einem guten Restaurant ein.

Bei einem meiner Besuche in Kruibeke machte ich den Fehler, meinen Plattenfreund Klaus Schefer, der vorwiegend Jerry Lee Lewis sammelt, in meinem Auto mit nach Belgien zu nehmen. Wie immer hatte ich vor, den ganzen Tag über nach Schallplatten zu suchen, unterbrochen durch kleine Kaffeepausen. Schon eine halbe Stunde später kam mein Begleiter zu mir und fragte, wann es denn wieder nach Hause ginge! Er hatte das Jerry-Lee-Lewis-Fach bereits zweimal durchgesucht und nichts gefunden. Da habe ich ihn ungläubig angeschaut, und der Arme musste bis Ladenschluss dort ausharren …

Die Gnade der frühen Geburt

Alfred Diegelmann habe ich erst vor gut zwanzig Jahren kennen gelernt – über einen Besucher an meinem Plattenverkaufsstand in der Jahrhunderthalle Hoechst, der mich auf sein nahezu deckungsgleiches Sammelgebiet aufmerksam machte und den Kontakt zu ihm herstellte.

Diegelmann, Jahrgang 1943, konnte viele seiner Schätze noch günstig kaufen – er besaß in Sachen Plattensammeln sozusagen die Gnade der frühen Geburt. Das war Mitte der 1960er Jahre, als der Rock ’n‘ Roll erst mal passé war und solche Schallplatten zu Spottpreisen in den Wühlkästen vor den Plattenläden standen.

Die Finanzierung seiner Streifzüge durch die Frankfurter Schallplattengeschäfte war für den jungen Mann aus Oberursel kein Problem. Seine Mutter besaß eine florierende Hebammenpraxis und glich die fehlende Zeit für ihren Sohn mit einer stets gut gefüllten Kasse im Küchenschrank aus. Aus der konnte sich Alfred großzügig bedienen.

Ein Mekka für Plattensammler war in den 1970er Jahren die britische Hauptstadt. Hier verlässt Alfred Diegelmann den Laden „Rock On“ in der Kentish Town Road – den Blick auf seine Einkäufe gerichtet. In dem Secondhand-Geschäft war er mal wieder schwach geworden und hatte für Rock ’n‘ Roll viel Geld gelassen …

Geheimtipp in Frankfurt war für Diegelmann ein Plattengeschäft in der Stadtmitte. In der Passage zwischen Schillerstraße und der Großen Eschenheimer Straße, ganz in der Nähe des Haushaltswarengeschäftes Lorey, wurden zum Beispiel Rock ‚n‘ Roll-EPs aus den USA für 50 Pfennig angeboten, die inzwischen hohe Preise erzielen. Für eine Mark waren originale Atlantic-LPs von Rhythm & Blues-Interpreten wie Ruth Brown oder Big Joe Turner zu haben, die heute ebenfalls begehrt sind, aber damals in Deutschland als „Negermusik“ kaum gekauft wurden.

Sein Weg zum Ausbildungsbetrieb „Brönners Druckerei“ im Gallusviertel führte den Buchbinder-Lehrling regelmäßig an der „Schallplattenzentrale“ vorbei. Die war in den frühen 1960er Jahren Frankfurts größtes Plattengeschäft.

Schallplattenzentrale am Baseler Platz: in den Warenautomaten neben dem Eingang konnte man fünf DM einwerfen, um nach Ladenschluss für eine spontan anberaumte Party die neusten Hits zu kaufen. 25 Pfennig Wechselgeld lagen den Singles bei

Blick in die Schallplattenzentrale: Damals war es noch üblich, vor dem wohl bedachten Kauf einer Single sich beide Seiten von der ersten bis zu letzten Rille anzuhören. Der junge Mann mit Nyltest-Hemd und Lederhose scheint noch zu überlegen, ob sich die Investition von 4,75 DM in die gerade gehörte Polydor mit dem Sternchen-Label lohnt. Verkäuferinnen in Plisseekleidern mit Polydor-Anstecknadel legen hier die schwarzen Scheiben auf

Weiterer regelmäßiger Haltepunkt auf dem Weg zur Arbeit war die Gutleutkaserne der US-Armee, wo der Buchbinderlehrling am Kasernentor schwarzen Soldaten manche in Deutschland völlig unbekannte Schallplatten mit Blues und Rhythm & Blues abkaufen konnte.

Ich kenne keinen anderen Sammler, der nicht unter dem Eindruck der Beatwelle seine Rock ‚n’ Roll-Scheiben auf billige irische „Shamrock“-Tonbänder überspielte – um sie dann für ein paar Mark noch an den Mann zu bringen (und sich die Sachen nach 1970 dann wieder mühsam anschaffen zu müssen …). Nicht so Diegelmann, der aufgrund seiner günstigen „Einkaufssituation“ und dem Festhalten an seiner Lieblingsmusik eine außergewöhnliche Sammlung mit immensen Raritäten angehäuft hat.

Problem Sammlungsverkauf

Inzwischen ist Alfred nach langer, geduldig ertragener Krankheit gestorben – womit wir am Ende noch bei einem wichtigen Thema sind: Was wird aus meiner Sammlung, wenn ich nicht mehr da bin?

Allein in dieser meterlangen Schrankwand lagern mehr als 5000 LPs von Alfred Diegelmann, davon etwa die Hälfte Originalplatten aus den 1950er und frühen 1960er Jahren

Lediglich Klaus Schefer hatte schon zu Lebzeiten die Nachfolge geregelt und einen Freund benannt, der die Vinylschätze übernehmen sollte. Doch leider hatte der Solinger ohne Familie dies nicht testamentarisch festgehalten, so dass der begünstigte Christoph Ebner beim Nachlassgericht leer ausging. Erst in letzter Minute gelang es dem pensionierten Richter, die gepflegte Sammlung des Verstorbenen einem Entrümpler abzukaufen, der die Wohnung gerade ausräumte.

Die Erben eines Plattensüchtigen sind beim Verkauf seiner Sammlung in der Regel fachlich völlig überfordert. Hyänen suchen sich die Raritäten raus, oder ein Händler übernimmt die Platten en bloc und gelangt in den Besitz der Zuckerstücke zu einem Spottpreis.

Die teuren Originalplatten der Sammlung hatte Diegelmann für seine Frau mit Wertangaben anhand von Preiskatalogen versehen. Doch die gelben Klebezettel sind inzwischen vielfach obsolet. Da zahlreiche Sammler seiner Generation inzwischen gestorben sind, ist die Nachfrage nach dieser Musik stark zurückgegangen – und damit einhergehend auch die Marktpreise.

Langspielplatten aus den Fünfzigern wie diese von den Barry Sisters sind auf Plattenbörsen heute die Ausnahme. Die meisten LPs stammen aus den Glanzzeiten des Vinyls in den späten sechziger, den siebziger und den achtziger Jahren

Die in Priceguides genannten Beträge sind in den seltensten Fällen am Markt zu realisieren, und wenn überhaupt, dann nur für einzelne Platten, niemals für eine ganze Sammlung. Manche Händler lehnen jede Verhandlung ab, wenn der Verkäufer mit Preiskatalogen winkt.

Auch eBay hat viel kaputt gemacht – die dort erzielten Verkaufsergebnisse sind oft lächerlich gering. Ganz zu schweigen von dem miesen Zustand vieler Platten.

„Gefährlich“ für Verkäufer ist ebenfalls die in den letzten Jahren enorm gewachsene Handelsplattform Discogs im Internet, wo alle möglichen Schallplatten zu finden sind und sich die Angebote bequem nach der besten Erhaltung zum niedrigsten Preis sortieren und bestellen lassen.

„Eine Schallplattensammlung ist wie eine Pyramide. Die oberen ein, zwei Prozent will jeder haben. Die nächsten zehn oder zwanzig Prozent gehen auch noch. Was danach kommt, ist schon schwer zu verkaufen. Und die untere Hälfte, den Bodensatz, will keiner.“

„Ich handele noch erfolgreich mit seltenen Blues-, Rhythm & Blues sowie Rockabilly-Scheiben“, berichtete mir kürzlich Craig Moerer. „Aber vor 1965 gepresste Schallplatten mit Charts- und Countrymusik sowie Sampler sind heute kaum verkäuflich.“ Zurzeit habe er 400 Platten von Bill Haley am Lager. Davon sei er im letzten Jahr nicht eine einzige losgeworden.

Ich habe bisher nur einmal die professionelle Vermarktung einer großen Rock ’n‘ Roll-Sammlung durch ein Auktionshaus erlebt. Da wurde den Interessenten in Schwabing für mehrere Tage die Möglichkeit geboten, die Schallplatten des verstorbenen Münchener Großsammlers Wolfram Ebell vorab zu besichtigen. Auch ich nutzte diese Gelegenheit für eine Tagesreise per ICE in Deutschlands heimliche Hauptstadt und übermittelte am Auktionstag Gebote per Telefon.

Im Katalog waren die Auktionsobjekte in Konvoluten zusammengefasst, bei denen um ein Sahnestück zehn Allerweltsplatten gruppiert waren. Diese Zusammenstellungen wurden nur komplett versteigert. Sicher kein ungeschickter Weg, um solch eine Riesensammlung vollständig an den Mann oder die Frau zu bringen.

Zwar gibt es in Deutschland Anzeigen von Händlern, die ständig Schallplatten ankaufen. Doch die sind heute vorwiegend an Tonträgern der späten 1960er, der 1970er und der 1980er Jahre interessiert – also Sachen wie Funk, Gothic, Grunge, Hard Rock, Heavy Metal, Hip Hop, House, Independent, Krautrock, Punk, Rap, Soul oder Techno. Wobei sich die Frage stellt, ob eines Tages auch solchen Richtungen das Schicksal des Rock ’n‘ Roll ereilt: Wenn eine neue Generation von Musikhörern herangewachsen ist, die damit nichts anfangen kann …