Der verrückte „Bauer Hansl“

„Täglich Tanz“, das ist um 1960 noch vielerorts Programm  – ob im vornehmen Café Opera in Lübeck, der exotischen Kongo-Bar im niederbayerischen Eggenfelden oder dem eleganten Terrace Dancing am Zürichsee.

Terrace Dancing in Zürich mit sorgsam eingedeckten Tischen und großer Tanzfläche: Unter dem dekorativen Baldachin treten internationale Spitzengruppen zum Tanztee auf

Damals spielen in solchen Etablissements ausschließlich Live-Bands. Das Concert Café Renner in Coburg wirbt mit „vorzüglicher warmer und kalter Küche bis 2.30 Uhr“ sowie „Auftritten anerkannter Kapellen aus ganz Deutschland bis 4 Uhr früh“.

Die Gruppen haben nicht nur die neuesten Schlager aus dem Radio im Repertoire. Sie überbieten sich gegenseitig auch im Erfinden immer neuer Show-Einlagen.

Hans-Fischer-Band während einer Spielpause: Mit Sonnenbrillen im Riesenformat reißen die Musiker das Publikum zu Lachsalven hin

Enorm wichtig für den Erfolg der Kapellen ist das Teil, das auf dem Bild Sängerin Wanda Malaguti präsentiert – das Nachhall- und Trickgerät Echolette.

Interessant ist die Geschichte der Echolette und des Mannes, der dazu den Anstoß gab.

Als Hans Bauer aus dem Krieg heimkehrt, muss er schon bald den elterlichen Betrieb im oberbayerischen Fischbachau übernehmen.

Café Bauer in Fischbachau: Hier hat nach dem zweiten Weltkrieg die bemerkenswerte Berufskarriere von Hans Bauer begonnen

In dem kleinen Dorf zwischen Schliersee und Bayrischzell spottet man über den jungen Mann als den „verrückten Bauer Hansl“. „Euren Verrückten sollt ihr haben“, kontert der erst 21jährige mit den Sepplhosen und verpasst dem biederen Café seiner Eltern den umsatzträchtigen Namen Crazy Alm.

Aus dem Café Bauer wird die Crazy Alm. „Crazy“ ist damals ein Modewort unter Halbstarken – ähnlich wie das Wort „Cool“ der heutigen jungen Generation

Bauers kontaktfreudige Art beschert ihm im Handumdrehen die Zusammenarbeit mit den damals bescheiden starteten Reisebüros. Bald halten jedes Wochenende fünf bis zehn Omnibusse aus Norddeutschland in Fischbachau.

Der Wirtsmetzgerssohn gründet sein eigenes Reiseunternehmen, mietet in seinem Erholungsort 400 bis 500 Privatbetten und begleitet bei „Fahrten ins Blaue“ Berliner Touristen mit seinem umwerfenden Humor.

„Hansl ist wie aufgezogen“, schwärmt die Lokalpresse und bezeichnet das Urlauber-Treffen des FT-Reisedienstes als „Springflut der Heiterkeit“.

„Seine Witze, die er von 1 bis 1000 numeriert, strapazieren das Zwerchfell – ein Urviech halt“

Nach der Berlin-Blockade gelingt es Bauer, die gemieteten Zimmer noch zwei Saisons zu füllen. Dann aber bringt ihn ein Busunternehmer an den Rand des Ruins.

Schulden führen zur Musik

Der geborene Conférencier und Parodist besinnt sich darauf, dass er auch als Musiker Geld verdienen könne – und gründet 1954 zunächst ein Heimatkapelle.

Auftritt der Trachtenkapelle in Dirndl und Lederhosen: Den Kontrabass zupft Hans Bauer

„Hansl Bauer beherrscht zahlreiche Instrumente – Bass, Quetschn, Klavier, Trompete und jetzt auch noch das Schlauchophon“, berichtet ein Zeitungsartikel von seinem Engagement im Gewerkschaftshaus Hausham.

„Das ist ein simpler Gartenschlauch mit einem Küchentrichter vorn und einem Trompetenmundstück hinten, auf dem Bauer einwandfrei das Solo aus dem Film ‚Verdammt in alle Ewigkeit’ bläst.“

Das Multitalent, das nicht eine Note lesen kann, organisiert ein „Tanz- und Showorchester der Spitzenklasse“. Hier richtet Hans Bauer gerade eine seiner launigen Ansagen ans Publikum

Vom zünftigen Schnacklwalzer bis zum modernen Rock ’n’ Roll gibt es nichts, was die Musiker nicht im Programm haben.

Bauer wird Mitbegründer der berühmten Schwabinger Tanzlokale und spielt in Gaststätten wie dem Clara in Basel beim Hausfrauen-Nachmittag. „Ein lustiges buntes Programm mit Hans Bauer und seinem glänzenden Münchner Stimmungs- und Schauorchester“, verspricht die Vorankündigung.

Auch in Freiburg ist die Stimmungskanone Tagesgespräch: Im Astoria Casino prämiert Hans Bauer die schönsten Frauenbeine der Stadt

„Man muss IHN gesehen und gehört haben – den Sorgenbrecher Hansl Bauer“, jubelt das Konzert- und Tanzhaus in Saarbrücken.

Wie ähnliche Betriebe in Frankfurt, Karlsruhe und anderen deutschen Städten trägt der Gastronomiebetrieb in Saarbrücken den zugkräftigen Beinamen „Oberbayern“

Nach diesen Erfolgen schließt sich Hans Bauer, der mit seine Show-Orchester durch ganz Deutschland und die Schweiz tourt, mit Ambros Seelos zusammen und gründet die Jokers.

Die Tanzkapelle The Jokers ist Vorläuferin des später international bekannten Orchesters Ambros Seelos. Auch hier wirkt Hans Bauer am Kontrabass

Noten lesen kann Bauer zu diesem Zeitpunkt zwar immer noch nicht, doch ohnehin treibt ihn etwas anderes um: ein Instrument zu erfinden, mit dem selbst diejenigen Leute singen können, die keine gute Stimme haben.

Bedarf für Effektgerät

Weil zu dieser Zeit noch kein Gerät für die Verstärkung von Gesangsstimmen existiert, schwebt Bauer ein Verstärker hoher Ausgangsleistung für den Anschluss mehrerer Mikrofone vor. Der Bandleader erkennt auch den Bedarf für ein Effektgerät, damit der Gesang kräftiger und räumlicher klingt.

Dabei hilft Bauer seine Experimentierkunst:

„Eines Tages habe ich an meinem Akkordeon einen Staubsauger über einen Schlauch und eine getrocknete Schweinsblase angeschlossen. Dieser blies Luft in den Schlauch und in die Saublase, die ich zwischen den Knien einklemmte. Und während ich Akkordeon spielte, wackelte ich damit im Rhythmus der Musik.“

Auftritt der Kapelle von Hansl Bauer – hier der Kapellenchef vor seinem Namenszug am Akkordeon. Die Aufnahme entstand 1956 im Restaurant Volkshaus in Basel

Dann will Bauer diesen Sound elektrisch verstärken. Ein Stock mit Schnur dient ihm als per Fuß bedienter Lautstärkeregler, zwei Kopfhörer als Mikrofon und die zwischen den Knien zusammendrückbare Schweinsblase als Vibrator.

In Verbindung mit Verstärker und Radiolautsprecher erzielt der Tüftler „den Effekt einer wundervoll klingenden Elektronenorgel“. Diese primitive Vorrichtung wird zum Vorläufer eines Nachhallgeräts.

In Arthur Klemt (Mitte) gewinnt Hans Bauer einen Fabrikanten, der die Erfindung technisch umsetzt und sie 1958 in seiner Messgeräte-Fabrik in Olching bei München realisiert. Links Entwickler Haertl, rechts Betriebsleiter Tschernig

Seine Erfindung tauft Hans Bauer auf den klangvollen Namen Echolette. Mit der gold eloxierten Frontplatte ist das Gerät hinter jeder Tanzkapelle ein Hingucker

Unter dem Titel „Ein neuer Klang“ erscheint von Echolette 1959 der erste Geräteprospekt. Darin wird der Hintergund der Erfindung erläutert:

Seit einigen Jahren gibt es kaum noch Aufnahmen mit Tanz- und Unterhaltungsmusik, in denen nicht auf elektrischem Wege erzeugte Trickeffekte enthalten sind. Zur Erzeugung derartiger Tontricks werden in den Tonstudios sehr komplizierte und kostspielige Anlagen verwendet, die infolge ihrer Größe und Empfindlichkeit nur stationär verwendet werden können. Es lag daher nahe, ein Gerät zu konstruieren, das möglichst klein, leicht zu bedienen, zu transportieren und preisgünstig ist, ohne dass Betriebssicherheit und vielseitige Verwendbarkeit darunter leiden. In der Echolette sind diese Gesichtspunkte vereinigt. Der robuste mechanische Aufbau, die einfache Funktion und die Überdimensionierung aller Bauteile gewährleisten höchste Betriebssicherheit. Durch stufenlose Regelung aller Funktionen ist mit der Echolette praktisch jeder Echo-, Hall- und Trickeffekt möglich. Dabei ist die Echolette nicht größer als eine Reiseschreibmaschine und leicht zu transportieren.

Nachhall wird bei der Echolette durch eine Endlos-Bandschleife erzeugt. Dazu dienen drei getrennt regelbare Aufnahmeköpfe, zwei schaltbare Wiedergabeköpfe, ein Löschkopf und zwei Bandgeschwindigkeiten. Maximal sind 10 Echos möglich, die Nachhalldauer beträgt bis zu drei Sekunden.

„Die Echolette ist wohl mit das beste Nachhallgerät seiner Gattung“, urteilt der ehemalige DDR-Musiker Hans Ohms über die 1960 erscheinende Echolette S mit Röhren 4 x ECC 83, 1 x ECC 82 sowie 1 x EM 84 für die Aussteuerungsanzeige über ein „magisches Auge“.

Ergänzt wird die Echolette durch den Highfidelity-Mischverstärker M 40, der einen 40-Watt-Endverstärker und ein vierkanaliges Mischpult vereinigt, von dem jeder Eingang eine eigene Klangregelung besitzt.

Der Mischverstärker M 40, ebenfalls im attraktivem goldfarbenen Hammerschlag-Lack, liefert mit 4 x EL 84 Leistungsröhren 32 Watt Dauerton

Zum Mischverstärker M 40 schreibt der Geräteprospekt:

Ist am M 40 eine Echolette angeschlossen, kann durch Betätigen des jeweiligen Lautstärkereglers jeder Eingang unabhängig von den anderen mit Echoeffekt belegt werden. Ein nachfolgender Volumenregler und eine zusätzliche Hoch-Tieftonregelung, die auf alle Eingänge wirken, ermöglichen die Anpassung an den jeweiligen Raum.

Als „Krone aller Orchester-Übertragungsanlagen“ bezeichnet der Prospekt die Kombination aus Echolette und M 40 mit der Bezeichung EK 40. „Sechs mischbare Mirofon- oder Instrumenten-Eingänge mit getrennter Klangregelung geben Ihnen akustische Möglichkeiten von großer Vielfalt und zauberhafter Klangfülle.“

Blickfang hinter jeder Tanzkapelle: der „Goldkäfig“ mit Echolette und M 40

„Ein siebter Eingang an der Echolette ermöglicht den Anschluss elektronischer Musikinstrumente mit hoher Ausgangsspannung wie eine Orgel, ebenfalls mit Hall. Außerdem lässt sich mit der EK 40 ein Farblichtwerfer mühelos verbinden.“

Echolette und Mischverstärker werden im Betrieb von Arthur Klemt in Olching bei München gebaut

Transport und Anschluss der Kombination EK 40 seien denkbar einfach. Nur durch ein einziges Kabel werden Echogerät und Verstärker miteinander gekoppelt. Abschließend formuliert der Prospekt gestelzt:

„Die Kombination EK 40 ist eine Konstruktion von internationalem Format, die den Erfolg der Musikwelt in sich trägt.“

Beim Echocord des Straubinger Konkurrenten Dynacord hören die beiden möglichen Echoverzögerungen auf die Namen „Adagio“ und „Presto“. Die Nachhallregelung durch Rückkopplung wird als „Reverb Duration“ bezeichnet

Hallgeräte aus dem Ausland

Praktisch zeitgleich mit der Einführung der Orchesterelektronik in Deutschland treten ausländische Hersteller auf den Plan.

Den modernen Sound erzeugt hier das Koffergerät Binson Echorec Baby aus Großbritannien

Für das Binson Echorec Hallgerät in goldenem Hammerschlaglack zahlen Musiker heute Liebhaberpreise

Für die Selmer Truevoice Echo Chamber nimmt der englische Gitarrist Bert Weedon eine LP zur Demonstration des Echo-Effekts auf

Diese Werbe-Schallplatte wird von Musik-Fachgeschäften kostenlos abgegeben

Gitarren-Instrumentalgruppen wie die Shadows aus England, die Spotnicks aus Schweden, der US-Gitarrist Duane Eddy sowie unzählige lokale Tanzkapellen aus den Niederlanden, Belgien und aus Skandinavien sorgen Anfang der 1960er Jahre für die Verbreitung des verhallten Gitarrensounds.

Künstlich erzeugter Hall wird schließlich so populär, dass selbst Philips und Grundig solche Einrichtungen unter klangvollen Namen wie Reverbeo oder Phonomascope in ihre Musiktruhen einbauen – Näheres dazu in meinem Blog vom September 2023.

Unabdingbar für jedes Engagement

Bald ist Schau und Gesang über die „modernste Echo-Hallanlage“ für Unterhaltungskünstler die Voraussetzung für jedes Engagement. „Wir arbeiten nur mit Echolette und Stereo-Lautsprechern von Herrn Bauer“, grüßt im März 1961 die Tanzkapelle Terni aus dem Hauptrestaurant der Essener Messe.

„In maßgeblichen Lokalen großer Städte“, schreibt Dynacord-Chef Werner Pinternagel in einem Beitrag zur Musikinstrumenten-Fachmesse in Frankfurt, „werden heute keine Arrangements mit neuen Kapellen mehr getroffen, wenn diese nicht über elektronische Echo- und Nachhallgeräte verfügen.“

Die Twist- und Rock ’n‘ Roll-Formation „The Blue Cats“ ist von der Echolette begeistert

Klemt Echolette und das Konkurrenzgerät Dynacord Echocord sind unverzichtbare Requisiten jeder Band. Ebenso Röhrenmischverstärker mit stolzen Namen wie Eminent oder HiFi-King sowie die neuartigen Rotationslautsprecher mit schwirrendem Leslie – eine Kombination aus Vibrato, Tremolo und Phasenverschiebung.

Auch Schlagersängerin Conny Froboess schwört auf ihre Echolette

Orchesterleiter Max Greger berichtet Hans Bauer ausführlich von seinen Erfahrungen.

„Ich bin mehr als zufrieden mit dem Gerät. Die Echolette bietet für Bands und Gesangssolisten sämtliche Möglichkeiten, musikalische Darbietungen von der technischen Seite her zu vervollkommnen. Außerdem ist die Echolette klein, handlich und kinderleicht zu bedienen.“

„Seit ich eine Echolette besitze, klingt meine Orgel noch einmal so gut“, lobt Klaus Wunderlich das neuartige Röhrengerät

Eine Illustrierte berichtet sogar über den Einsatz der Echolette im Land der unbegrenzten Möglichkeiten: „Frank Sinatra singt nicht ohne Bauers Hallmaschine.“

800 Geräte monatlich

Wegen des geschäftlichen Erfolgs zieht sich Hans Bauer 1959 vom Musikerberuf zurück und widmet sich nun sich ganz den Geräten der Orchester-Elektronik unter der Marke Echolette.

Seine letzte Tanzkapelle, die Jokers, übergibt Hans Bauer dem Bandleader Ambros Seelos

Alle Rechte am Namen liegen bei Hans Bauer, der die Klemt-Produkte über seinen Vertrieb in München absetzt. Statt wie am Anfang sechs Geräte verkauft Bauer inzwischen von der Echolette monatlich 800 Stück und exportiert das Zaubergerät zu Tausenden in alle Welt.

Obwohl Bauer kein Englisch kann, gründet er eine Niederlassung in den USA. Zu seinen Kunden gehört die Radio City Music Hall in New York. Selbst in Kirchen werden Echolette-Hallanlagen installiert.

Geschäftsmann auf Reisen: Hier steigt Hans Bauer gerade aus einem zweimotorigen Propellerflugzeug Convair CV-440 „Metropolitan“

Rasch erweitert sich die Modellpalette um die Bandecho- und Nachhallgeräte der NG-Reihe, um Bassverstärker, Lautsprecherboxen und Mikrofone. Wobei die Lautsprecher von Isophon und die Mikrofone von Sennheiser zugeliefert werden.

Profi-Lautsprecher und Mikrofone werden zugekauft und mit Echolette-Logo versehen, Gitarrenverstärker bei Klemt entwickelt und gebaut

Am Ende verfügt der Echolette-Vertrieb München über ein komplettes Programm an Orchester-Elektronik. Musikhäuser in mehr als 40 Ländern zählen zu den Partnern im Einzelhandel.

Ladengeschäft Music City von Echolette im Herzen von München-Schwabing: Hier ist alles zu haben was des Musikers Herz begehrt

Bauers Music City ist ein Mekka für Trickgeräte von Echolette und Dynacord, für E-Gitarren von Burns, Fender, Gibson und Gretsch, für Schlagzeuge von Trixon, Selmer und Ludwig

Im Gegensatz zu den heutigen Alleskönnern, den Keyboards, und gemessen an den damals bescheidenen Einkommen sind die Geräte der Orchester-Elektronik sehr teuer. Die Echolette kostet 970 DM. Für den Mischverstärker M 40 sind 750 DM zu berappen. Das Konkurrenzgerät Echocord schlägt gar mit 1075 DM zu Buch.

Ähnlich wie Musikboxen für die Automatenaufsteller ist die technische Ausrüstung für die Kapellen nur per Teilzahlung finanzierbar. Gleiches gilt für die aufwendigen Musikergarderoben, ohne die damals keine Band ein Engagement erhält.

Gute Garderobe = gute Gage

Bezugsquelle für die unerlässliche Bühnenbekleidung der Tanzkapellen ist in Hamburg die Firma Heinemann.

Heinemann liefert Jacken in Smokingform aus golddurchwirktem Brokatstoff oder Trevira, Anzüge in schillernden Pastellfarben aus Naturseide und Kaschmirwolle, cremeweiße Hosen („Knie gefüttert“) aus Diolen oder Dralon, weiße Lederschnürschuhe („auch Slipper, ital. spitze Form“) sowie „Musikerschleifen mit unzerbrechlicher Einlage“. Eine Neuheit für heiße Tage sind Boleros aus Lurex („fernsehblau, ohne Arm“).

Mit einer Musterkollektion bereist Heinemann ganz Süd- und Westdeutschland – und kündigt im November 1962 per Anzeige Präsentationen in Hotelzimmern von Düsseldorf, Frankfurt, Nürnberg und München an. „Bei hundertprozentigem Interesse komme ich mit Modelljacken auch in Ihre Privatwohnung.“

Bei der Promotion von Musterjacken sowie von sämtlichem Garderobenbedarf – „teil dezent, teils neueste Mode“ – unterstützt Heinemann sein Werbewagen – der laut Anzeige gerade am Hotel Royal in der Frankfurter Kaiserstraße Station macht

In der Mainmetropole führt solche Garderoben auch das Musikhaus Hummel im Bahnhofsviertel – ganz in der Nähe von schummrigen Tanzlokalen wie dem Sankt Pauli, dem K 52 oder den berüchtigten Fischerstuben. Dort spielen Indonesierbands wie die Tielman Brothers, die Javalins oder die Crazy Rockers in schillernden Schalkragenanzügen und weißen Slippern.

Wichtig für den Erfolg von Hans Bauer ist sein enger Kontakt als ehemaliger Profi-Musiker zu vielen internationalen Spitzenstars und Tanzkapellen. Dadurch erfährt er deren Bedürfnisse an technischer Ausrüstung.

Die Zusammenarbeit mit dem Musikfachhandel stärkt Hans Bauer mit Gründung der Kundenzeitschrift Show Business

Die Zeitschrift Show Business, die Hans Bauer von 1961 bis 1964 in unregelmäßigen Abständen herausgibt und über Musikhäuser an Kunden verteilen lässt, ist eine Fundgrube für Informationen über die Ära der Tanzkapellen.

An- und Verkaufsanzeigen spiegeln die Ausrüstung der Kapellen – sei es die „vollgriffige“ Minichord-Orgel, eine Echolette S mit Verstärker M 40 im „Schonkasten“ oder ein Dynacord 18-Watt-Verstärker mit „dreistufigem Vibrator“.

Wegen der hohen Fluktuation in dem Gewerbe suchen viele Musiker neue Engagements – gern auch in den US-Militärclubs an Truppenstandorten wie Hanau oder Grafenwöhr

Regelmäßig berichtet die Show Business über Kapellen wie Birdland Combo, Four Bambis oder Fire Birds, die in Cafés mit klangvollen Namen wie Regina, Corso oder Papagei zum Tanz aufspielen und in Lokalen wie Wiener Rutsch’n, Löwenbräu-Keller oder Zillertal für Stimmung sorgen.

In Nachtclubs mit Namen wie Tabu, Dolly Bar oder Ba-Ba-Lu begleiten die Kapellen das Bühnenprogramm. Mancher erinnert sich noch an die Aushangfotos mit den schwarzen Balken

Als Trumpfkarten verweisen die Tanzkapellen auf ihre „Echo-Anlage“, „vielseitiges Repertoire“, „attraktive Bühnengarderobe“, „Gesang in mehreren Sprachen“ oder „eigenen PKW“. Häufig verläuft die Vermittlung über Kapellenagenturen, die damit werben, „behördlich beauftragt“ zu sein.

Wichtig: „kein Trinker“

Groß ist der Bedarf der Tanzkapellen an versierten neuen Kollegen. Das Wolf-Walther-Sextett sucht einen Pianisten:

„Erwartet werden moderne Auffassung, guter Drive, Nebeninstrument, Background-Gesang, entwicklungsfähige Show-Begabung, Ideen für Bearbeitungen von populärer Musik, Reiselust für In- und Ausland.“

Häufige Forderungen: Der neue Mann soll „einwandfreier Notist“, „verträglich“ und vor allem „kein Trinker“ sein. Geboten werden dann „absolute Spitzengagen, lukrative Engagements in besten zivilen Häusern bei freien Tagen und erträglichen Dienstzeiten“.

„Beste Referenzen und „modernste Echo-Hallanlage“ – damit wirbt das Hans-Gerhardt-Trio für neue Engagements

Auch verraten die Kleinanzeigen viel über die Arbeits- und Lebensbedingungen der unzähligen Kapellen, deren Gagen noch über den Getränkeumsatz finanzierbar sind.

Falls keine „permanente Anschrift“ vorhanden, sind Musikeranfragen für neue Engagements direkt an Auftrittslokale wie die Bozener Weinstube in Mittenwald oder die Roxy-Bar in Landshut zu richten.

Eine Heimatadresse mit dem Zusatz „bei …“ und Angabe des Stockwerks verrät, dass der Inserent dort als „möblierter Herr“ wohnt, wenn er nicht gerade auf Tournee ist.

Ein Stellensuchender hat gar keine feste Bleibe und ist unter „Pass-Nummer B 1 951 453, Koblenz, hauptpostlagernd“ zu erreichen.

In anderen Annoncen wird um „zweckdienliche Hinweise“ auf Aufenthaltsorte von Musikern gebeten, die mit den Ratenzahlungen für die Echolette im Rückstand sind.

Auch Ganoven wissen um die „besonders guten Absatzmöglichkeiten“ der bei Orchestern und Solisten in aller Welt begehrten Echolette-Geräte

„Sintflut ausländischer Kapellen“

Eines zieht sich wie ein roter Faden durch die Firmenzeitschrift von Echolette:

Es ist die ständige Klage über die „Sintflut ausländischer, insbesondere italienischer Kapellen“, die „gewisse Lokalinhaber“ bevorzugen, und die Verdrängung „deutscher“ Musiker aus „deutschen“ Lokalen.

Tanzkapellen aus Bella Italia arbeiten für geringere Gagen – und zeigen oft größeres Können

Doch dann frohlockt der für die Klage verantwortliche Kommentator F. W. Seelos – Bruder des Bandleaders Ambros Seelos:

„Dem weitsichtigen Fachmann war immer schon klar, dass das Begehren nach typisch fremdländischer Musik nur kurze Lebensdauer haben wird. In der Zwischenzeit haben auch die deutschen Bands längst in ihr Repertoire aufgenommen, was an italienischen Schnulzen den Charakter von Evergreens hat.“

Negativ äußert sich F. W. Seelos über ausländische Tanzkapellen – heute würde die AfD grüßen lassen

Jetzt aber droht neues Ungemach:

„Nachdem die Ära ‚Italiensound’ verklungen war, haben sich, wiederum nur in einer bestimmten Kategorie von Lokalen, Kapellen aus Indonesien in den Vordergrund geschoben“, berichtet Seelos und giftet dann:

„Es bedurfte keines Fachverständnisses, um mit der Prognose recht zu behalten, dass sich diese lärmenden Combos ihr eigenes Grab schaufeln. Der Zeitpunkt ist nicht mehr fern, an dem selbst die Anhänger revolutionärster Tanzmusik jene schwarzen Jugendlichen mit ihren verbotenen Frisuren weder hören noch sehen können.“

Einheitliche Kapellenanzüge und weiße Schnürschuhe: Die vier Comancheros aus Indonesien während einer Spielpause in einem Frankfurter Tanzlokal

Im Moment – wir schreiben das Jahr 1963 – seien keine Zeichen am musikalischen Horizont erkennbar, die das Erscheinen einer ähnlichen dritten Entwicklung andeuten. Doch mit dieser Einschätzung liegt Seelos gründlich daneben.

Es kommt die Beat-Ära mit Pilzkopffrisuren, und mit der 68er Revolution – deren musikalische Vorboten sich schon zwei Jahre früher ankündigen – ist die Welt der Show Business, sind Kapellen in einheitlicher Garderobe und Hall von der Echolette nur noch Geschichte.

Beatgruppen wie die Lords arbeiten noch mit der Echolette. Dann aber erobern Fuzz-Gitarren und Verstärker von Firmen wie Marshall die Szene. Musikalisch bleibt kein Stein mehr auf dem anderen

Neue Gruppen tragen Madonnenscheitel, Phantasiekleidung und Amulette, spielen progressiven Rock mit wimmernden Fuzz-Gitarren und halb entblößtem Oberkörper. Zehn Minuten oder noch länger dauernde Tracks passen auf keine Single-Schallplatte mehr. Auch ist die „gepflegte“ Atmosphäre der Tanzlokale im Zeichen aufständischer Hippie-Kultur und langer Haare nicht mehr gefragt.

Heute steht die Orchester-Elektronik der sechziger Jahre wieder hoch im Kurs. Für bestimmte Geräte werden von Sammlern Phantasiepreise gezahlt. Das rief die US-Firma Fender auf den Plan, die einige ihrer Klassiker sogar wieder herstellt. Musiker im Studio und auf der Bühne schwören auf die Röhrengeräte, da deren typischer Klang mit moderner Digitaltechnik kaum reproduzierbar ist. Gerade die Kombination aus Mischverstärker M 40 und Echolette im „goldenen Käfig“ gilt ihnen als das Nonplusultra an Optik und Nostalgie-Technik.

Lärm – Stimmung – Umsatz

Dem umtriebigen Echolette-Chef bleibt die Zeitenwende natürlich nicht verborgen. Doch von Kleinigkeiten hat er sich nie aufhalten lassen.

Hans Bauer wäre nicht Hans Bauer, wenn er nicht schon weiterdenken würde und die Zukunft der Diskotheken erkennt. „Wo Lärm, da Stimmung, und wo Stimmung, da Umsatz“, so seine einfache Gleichung. Die Soul-Welle bringt den Lokalen mit Plattenspielern und Mischpult den Durchbruch.

Bauer übernimmt in München das Wagnerbräu in der Lilienstraße, „das überhaupt nicht mehr gelaufen ist“, kauft in den Filmstudios von Geiselgasteig eine Dekoration, die schon auf dem Sperrmüll lag, und macht das Sahara Dancing auf. Schnell springt der Bierabsatz des nun geschickt manövrierten Wagnerbräus auf 750 Hektoliter pro Jahr.

Attraktion im Sahara Dancing ist dieser Farblichtwerfer, den die Echolette-Vertretung „Piano Werner“ für Diskotheken liefert

Später verpasst der Unternehmer seiner Disko den modischen Namen Pop Club und macht unter dem Laden für die ältere Generation einen weiteren Tanzschuppen auf.

Und weil dieser Schuppen anfangs nicht so gut läuft, lässt Bauer die Kellnerinnen auf Rollschuhen bedienen. Plötzlich läuft sie, die Münchener Dependance seiner „Crazy Alm“.

In der Münchener Crazy Alm ist der „deutsche Bill Haley“ Paul Würges Stammgast, der das Publikum mit Gitarre und Gesang über seine Echolette-Anlage unterhält

Aber nicht nur der Unterhaltung, auch der Marktforschung dienen diese Dancings. Bauer: „Bevor wir eine Neuheit herausbringen, testen wir diese in unseren Geschäften. So gewinnen wir einen Eindruck, ob der Artikel für unsere Händler ein Erfolg wird.“

In dieser Zeit rascher Veränderung beweist Hans Bauer abermals Spürsinn: 1969 zieht sich der Unternehmer aus dem Echolette-Geschäft zurück und verschmilzt seinen Vertrieb gegen eine lukrative Beteiligung mit dem Konkurrenten Dynacord. Seine Anteile behält er bis 1981.

Dynacord-Zentrale in Straubing an der Donau. Inzwischen gehört der Diskotheken-Ausrüster zur Bosch-Gruppe

Gut zehn Jahre existiert die Marke Echolette noch weiter. Aber alle neu erscheinenden Geräte werden jetzt in Straubing entwickelt und gebaut. Der Exportanteil von Dynacord liegt damals bei 45 Prozent. Namhafte Künstler in über 70 Ländern der Erde singen und spielen auf Dynacord-Anlagen.

Heute bedient Dynacord als „Full-Line-Supplier“ die gesamte Audio-Kette vom Mischpult bis zum Lautsprecher. Das Unternehmen gilt als Marktführer bei ELA, wobei die Palette von Meldeanlagen in öffentlichen Gebäuden und Einkaufszentren über Konzerthallen und Musikfestivals bis zur Beschallung ganzer Stadien reicht.

Von der Disco zum Hotelier

„Diesen Bayern hat das Echo reich gemacht“, titelt 1969 die Münchener Abendzeitung, als Hans Bauer das ehemalige Wagnerbräu für eine hohe Summe an die Sängerin Caterina Valente verkauft.

Mit engen Kontakten zu inernationalen Stars und seinem Privatvermögen zählt Bauer zur Münchener Prominenz. Hier trifft er den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber

Von den Millionen, die er mit der Echolette verdiente, erwirbt der ehemalige Gastronom von einem Hefe- und Schnapsfabrikanten ein Hotel hoch über dem Schliersee mit 90000 Quadratmeter Grund und eigener Seilbahn.

Durch den Kauf der Schliersbergalm verhindert Bauer, dass aus dem großzügig gestalteten Kurhotel ein Sanatorium wird

Hans Bauer öffnet die Alm, die in 1055 Meter Seehöhe liegt, für den Fremdenverkehr und baut sie nach amerikanischem Vorbild zu einem Freizeitpark aus. Hauptattraktion ist die erste aus Kunststoff gefertigte Sommerrodelbahn Deutschlands.

Hans Bauer ist fasziniert von amerikanischen Freizeitparks – und baut eine moderne Sommerrodelbahn mit traumhafter Aussicht auf den Schliersee

Im Ruhestand tritt der Unternehmer, der an der Adria eine Anlage mit Ferienappartements besitzt und seine Motoryacht dort unterhält, geschäftlich kürzer. Ruhiger wird er dadurch aber nicht.

In seiner „Almhütte“ über der Bergstation der Seilbahn, voll gepackt mit Orchester-Elektronik der Spitzenklasse, greift der Selfmademan immer noch gern in die Tasten. Bei meinem Besuch auf dem Schliersberg zeigte mir Bauer auf der Orgel eine Kostprobe seines musikalischen Könnens

Zusammen mit seiner Frau Erna tourt Bauer durch Europa, trifft ehemalige Musikerkollegen wie den legendären Paul Kuhn. Doch der Ur-Bayer ist immer dann am glücklichsten, wenn er wieder heim auf den Schliersberg kommt.

Viel in der Welt herumgekommen – doch am wohlsten fühlt sich Hans Bauer auf dem Schliersberg unter bayerischen Freunden

Im Oktober 2014 sollte sein 90. Geburtstag groß gefeiert werden. Doch von einem Sturz kurz zuvor kann sich der Tausendsassa nicht mehr erholen. Untypisch für einen Mann, der so konsequent gegen den Strom geschwommen ist und zehn Leben in eines gepackt hat.

„Eigentlich war er noch nicht so weit“, meint sein Sohn Ingo. Und doch hat auch das Ende seinem Naturell entsprochen: Nicht lange überlegen, einfach machen.

Hans Bauer als Karikatur: Der Zeichner sieht in dem rastlosen Erfinder eine Art „Daniel Düsentrieb“ – der hier gerade seine Sommerrodelbahn ausprobiert